Kalandra – mystische Klänge aus dem hohen Norden
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Ich benutze Ableton Live schon seit etwa 12 Jahren. Damals war diese DAW noch eher ein Geheimtipp aus der Techno-Szene (und ich ein 14 jähriger kleiner Musik-Nerd), aber spätestens seit der “Scary Monsters and Nice Sprites” EP von Skrillex und dem darauf folgenden weltweiten Dubstep-Hype ist Ableton Live auf einem unaufhaltsamen Weg in den Mainstream. Was es besonders macht, ist die Art und Weise des Workflows und die schier unendlichen Sounddesign-Möglichkeiten. Sie ist extrem flexibel und es gibt nur sehr wenige Grenzen. Was auch daher kommt, dass sie Software ursprünglich zum Performen von Musik gedacht war. Und dafür wird sie auch immer noch viel genutzt. Aber sie hat eben auch für eine Studio-Revolution gesorgt und die Musikwelt nachhaltig verändert. Das klingt sehr groß und das ist es auch. Um es mit den Worten von Robert Henke (dem Erfinder von Ableton Live) zu sagen:
“Das wir sicherlich auch mit Schuld daran sind, wie Musik heute gemacht wird und wie Musik klingt… Und wie Musik aufgeführt wird… Das ist natürlich schon nach wie vor faszinierend. Natürlich kann man mit Ableton Live ziemlich langweilige Musik machen, woran auch nichts verkehrt ist, wenn’s einem Spaß macht. Man kann damit [aber auch] ziemlich coole sachen machen. Es ist glaube ich ein Denkfehler, wenn man das Werkzeug dafür verantwortlich macht, was Menschen damit tun.”
Quelle: Die Geburt von Ableton Live (Interview mit Robert Henke) | Arte TRACKS
Wie man hier bereits deutlich im Subtext heraus lesen kann, ist Ableton Live eigentlich dafür gemacht, besonders komplexe Musik zu machen. Und genau deshalb ist es in der EDM-Szene extrem beliebt.
Achtung, jetzt wird’s nerdy. Um zu verstehen, warum Ableton Live grade in der EDM-Szene so beliebt ist, sollten wir noch einmal auf Skrillex’ “Scary Monsters and Nice Sprites” EP zu sprechen kommen. 2010 hatte niemand jemals so etwas gehört. Vielleicht erinnerst du dich an diesen Gedanken: “Was zur Hölle ist das eigentlich?. Diese Roboter-Musik… Wie geht sowas?”. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter in mein Zimmer kam und mir sagte, ich sollte bitte diese schreckliche Musik leiser machen, die wie eine kaputte Waschmaschine klingt. Hab ich natürlich nicht. Ich habe mir lieber FM8 und Massive von Native Instruments heruntergeladen, weil Skrillex bekanntermaßen genau das benutzte um seine verrückten neuen Sounds zu basteln. Aber diese Synthesizer bringen einem alleine nicht viel. Sie entfalten erst im Zusammenspiel mit Ableton Live ihr volles Potential.
In Ableton lässt sich, wie in jeder andere DAW natürlich auch, jeder Parameter automatisieren. Aber in Ableton Live geht das sehr viel schneller als beispielsweise in Logic. Das ermöglicht ein sehr effizienter Workflow der Software. Wir müssen durch keine Menüs clicken, sondern können einen beliebigen Parameter mit der Maus berühren und es wird sofort automatisch die Automations-Linie dazu angezeigt. Das gilt für jeden Parameter der gesamten Spur. Automationen können außerdem blitzschnell kopiert und bearbeitet werden. Wer die Automations-Shortcuts in Ableton beherrscht, ist ein wahrer Musik-Zauberer. Während man in Logic oder Pro Tools grade noch im Menü herum sucht, hat man bei Ableton schon 10 Automationsspuren fertig.
So konnte jemand wie Skrillex bereits 2010 unendlich viele Automationen auf jedem erdenklichen Parameter eines FM-Synthesizers fernsteuern. Zielgenau. Und genau das ist das Geheimnis von Dubstep-Sounds. Extreme Automations-Komplexität.
Diese Funktion ist der Grund, warum ich niemals wieder eine andere Haupt-DAW haben werde. In Ableton Live können PlugIns gruppiert werden. Und nicht nur das, wir können auf jeder einzelnen Spur mehrere Gruppen öffnen. Nicht nur hintereinander, denn man kann auch Gruppen in Gruppen öffnen. Der Kreativität sind so keine Grenzen gesetzt.
Theoretisch kannst du 20 Gruppen haben und in jeden dieser Gruppe weitere fünf. Man kann sich quasi einen internes Netzwerk aus Mixbussen auf jeder Spur bauen. Das ist ein unglaublich mächtiges Sounddesign Tool, was ich nie wieder missen möchte. Ich zeige dir einmal, wofür ich das zum Beispiel nutze:
Quasi ein klassisches Bus netzwerk mit parallelem (nicht seriellen!) Reverb und Delay in einer einzelnen Spur. Das erlaubt uns unabhängige Bearbeitungsmöglichkeiten der einzelnen Effekte. Zugegeben, dieses Setup kann man auch mit jeder anderen DAW klassisch mit Aux Tracks lösen, allerdings ist es so sehr viel übersichtlicher und einfacher.
Du kannst natürlich auch das ganze Rack speichern, also auch mit einem Klick eine unbegrenzte Anzahl an fertig voreingestellten Bussen öffnen - das spart sehr viel Zeit!
Jetzt wird es schon spannender. Denn wir haben auf dieser Spur zusätzlich zu dem bereits gezeigten Effekt-Rack 3 parallele Einheiten eines Synthesizers, die alle anschließend in unser Effekt-Rack laufen. In einer anderen DAW braucht man (gefühlt) ewig um all diese Synth-Layer und Aux Tracks anzulegen.
Und man hat schon ein völlig volles Mixer Window. Hier habe ich genau eine Spur. Und brauche zum Anlegen mit nur zwei shortcuts weniger als 10 Sekunden.
Kommen wir zu einem echten Gamechanger. Wenn man einen Multiband Compressor in einem Audio-Effekt-Rack auf drei interne Spuren auf teilt und dann auf jeder Spur jeweils ein Band solo schaltet, hat man seinen Sound auf drei Frequenzbänder aufgeteilt, die man dann alle einzeln bearbeiten kann. Das erlaubt es uns, jedes PlugIn als Multiband Effekt einzusetzen. Hier haben wir beispielsweise einen Chorus nur auf den Mitten. Das ist mega cool für Bass-Sounds, die im Bassbereich Mono bleiben sollen, aber in den Mitten und Höhen schön breit. Aber man kann natürlich auch allerlei andere verrückte Dinge damit machen.
Wie du siehst sind der Kreativität hier keine Grenzen gesetzt. Du kannst auch Effekt-Racks, Multiband-Racks und Synth-Racks kombinieren und dir deine ganz eigenen Racks erschaffen. Es gibt quasi unendliche Möglichkeiten. Und das alles auf einer einzelnen Spur.
Ganz schön cool oder? Und das ist erst der Anfang. Das verrückteste kommt erst noch.
Stell dir vor, du könntest dir deine eigenen PlugIns programmieren. Das wäre toll oder? Du könntest einfach alles genau so programmieren wie du es dir vorstellst. Genau das ist Max for Life. Ein open source Programmiertool für Ableton Live. Damit kannst du quasi alles bauen, was du dir auch nur vorstellen kannst. Ein Kommilitone von mir hat im Studium einen Synthesizer programmiert, der nicht durch Midi, sondern durch Gesang seine Noten-Informationen bekommt und so quasi mit dem Gesang zusammen spielt.
Das coolste ist, dass man sich Max for Life PlugIns von anderen herunterladen kann. Und wie du dir sicherlich denken kannst, gibt es die verrücktesten Sachen. Aber auch extrem praktische Sachen, die dir erlauben, noch viel viel mehr aus deinen PlugIns heraus zu holen, die du eh schon benutzt.
Zum Beispiel einen simplen LFO. Diesen LFO kannst du auf jeden beliebigen Parameter deiner PlugIns anwenden. Damit kannst du einfach die Nachhallzeit deines Reverbs modulieren, auch wenn der eigentlich gar keinen Modulations-LFO im PlugIn integriert hat. Oder du kannst einen EQ modulieren, der eigentlich auch keinen LFO hat. Und das ist nur eine von endlosen Möglichkeiten von Max for Life. Es gibt Zahllose Funktionen, mit denen du deine “Standart”-PlugIns erweitern kannst.
Respekt, wenn du bis hierhin gelesen hast. Dann bist du echt ein riesiger Sounddesign-Nerd (willkommen im Club!). Ich kann verstehen, wenn das alles ein bisschen viel ist für den Anfang und wenn es vielleicht noch ein bisschen verwirrend ist. Man kann eben alles kombinieren. Racks in Racks in Racks, die alle automatisiert sind und Max for Life Mods beinhalten. Wenn du es dir vorstellen kannst, gibt es irgendwie einen Weg das in Ableton umzusetzen.
Wenn ich eines über Ableton Live gelernt habe, dann, dass es immer eine coole Funktion gibt, die man noch nicht kennt. Das ist auch nach 10 Jahren noch so. Aber das sollte dich nicht abschrecken, denn eigentlich ist die DAW total einfach zu bedienen. Die Komplexität ergibt sich erst mit der Zeit. Wie Robert Henke so schön sagte: "Man kann auch langweilige Musik mit Ableton machen, das macht auch Spaß."
Man muss gar nicht immer alle verrückten Möglichkeiten ausschöpfen. Aber das Schöne ist, dass man kann, wenn man will. Und genau deshalb lieben wir EDM Produzent*innen diese DAW. Wenn man Klänge erzeugen will, die neu und anders sind - Sounds die bisher keiner gehört hat, dann ist Ableton die DAW der Wahl. Diese DAW macht es uns nämlich tatsächlich nicht komplizierter, sondern einfacher, weil sie sehr intuitiv bedienbar ist. Es wirkt kompliziert, wenn man sie neu kennenlernt, aber wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt, wird sie kinderleicht und sehr schnell.
Apropos intuitive Bedienbarkeit: Es gibt noch ein weiteres extrem hilfreiches Feature, dass ich dir gerne zeigen will. Dieses lässt sich übrigens hervorragend mit Racks kombinieren, aber dazu später mehr.
In dem Namen von Ableton Live steckt ein Hinweis, warum diese DAW neben den Racks auch noch andere Funktionen besitzt, die man bei Pro Tools und co. leider vermisst. Ich meine natürlich das zweite Wort im Namen: “Live”. Diese Software wurde nämlich, anders als andere DAWs, unter anderem für den Bühneneinsatz konzipiert. Der MIDI Modus, den ich dir im folgenden Teil des Artikels näher bringen möchte, ist so eine Funktion, die offensichtlich für den Bühneneinsatz erfunden wurde. Allerdings ist diese nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Studio extrem hilfreich.
Lass’ uns kurz eine kleine Zeitreise in die 80er unternehmen um ein bisschen Wissen zu sammeln, mit dem du bei der nächsten Bandprobe klugscheißen kannst. MIDI steht für “Musical Instrument Digital Interface” und wurde im August 1982 vorgestellt. Damit ist MIDI mittlerweile ziemlich genau 40 Jahre alt. Es wurde zunächst erfunden um eine Kompatibilität von Synthesizern (und anderen Klangerzeugern) unterschiedlicher Hersteller zu ermöglichen. Federführend bei diesem Projekt waren Dave Smith und die Roland Cooperation. Mittlerweile nutzen allerdings unzählige Audiogeräte das MIDI Protokoll um einfache Daten zu übermitteln. Fader, Encoder und Drum Pads sind nur ein paar Beispiele. MIDI ist ein Digitales Protokoll, was nur sehr geringe Datenmengen übermittelt. Diese Daten sind Beispielsweise: Die Note die ein Keyboard spielt, wann die Taste gedrückt wird, wann sie losgelassen wird und wie doll sie gedrückt wird. Oder im Falle eines Drumpads: Wie doll es angeschlagen wird, welches Pad angeschlagen wird und welche Note damit getriggert werden soll.
Apropos Noten auf einem Drumpad triggern - Ja, man kann mit jedem beliebigen Drumpad Noten triggern. Der Spaß beginnt aber erst richtig, wenn man diese jeweiligen Midinoten mit Funktionen belegen kann. Durch das “Zweckendfremden” ergeben sich zahllose Möglichkeiten. Man kann MIDI zwar “nur” für Synthesizer benutzen, so wie es früher einmal gedacht war, aber als diese Idee geboren wurde, war noch nicht einmal "Back to the Future" im Kino. Im Jahr 2022 haben wir eine Menge anderer Möglichkeiten. Zum Beispiel:
Wie du siehst, lässt sich eine komplette Live Show mit MIDI Automatisieren, sodass die Musiker “nur noch” spielen müssen und sich alle Geräte automatisch anpassen. Alles was man dafür braucht, sind MIDI Interfaces, einen Laptop und Ableton Live. Es gibt aber auch zahllose Tricks für den Studioalltag. Es muss nicht immer ein DAW Controller sein, viele Dinge lassen sich in Ableton Live auch schnell, günstig und einfach mit MIDI lösen, wie etwa:
Wenn du dir jetzt denkst “All diese Funktionen klingen total Sinnvoll, aber das dauert bestimmt ewig das alles einzurichten” , dann hast du die Rechnung ohne Ableton Live gemacht. Wie schnell und einfach das alles geht, zeige ich dir jetzt.
Das ist auch schon alles was du wissen musst. Du kannst übrigens beliebig viele Parameter für jedes Pad und jeden Encoder festlegen. So kannst du eine ganze Reihe von PlugIns mit mit nur einem einzigen Knopf fernsteuern. Das ist in einer Live-Anwendung natürlich extrem praktisch, weil du viele verschiedene Effekte mit sehr wenigen Knöpfen fernsteuern kannst. Du könntest dir etwa eine “Effekt-Vocal-Chain” bauen, für einen bestimmten Songpart, die du mit nur einem MIDI Pad an und ausschalten kannst.
Für DJs ist der MIDI Modus besonders interessant, weil man so eine ganze Reihe an Effekten mit nur einem Poti oder Encoder ansteuern kann. Das ermöglicht eine Reihe an selbst gebauten Transition-Effekten.
Für Studiobastler gibt es auch allerlei kreative Anwendungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel extrem komplexe Automationen von Synthesizern. Jeder der schon einmal tiefer in das Thema Sounddesign abgetaucht ist, weiß, wie nervig eine Spur mit 20 Automationen sein kann. Da der MIDI Modus auch negative Modulation erlaubt, man also in die entgegengesetzte Drehrichtung eines Potis modulieren kann, kann man sich einen ganzen Haufen an Parametern auf nur einen Poti legen und diesen dann automatisieren. Das spart Zeit und Nerven. Außerdem kann man so sehr komplexe Modulationen selbst “spielen” und aufnehmen, das den Sounds einen organischeren Charakter gibt, weil sie nicht mit einer Maus gezeichnet - sondern von einem Menschen eingespielt wurden.
Die Racks haben übrigens sogenannte Macros, die genauso funktionieren, wie der MIDI Modus. Auf diese kannst du auch beliebig viele Parameter mit einem bestimmten Wirkbereich mappen. Und die Macros kannst du wiederum per MIDI fernsteuern.
Der Kreativität sind hier nur wenige Grenzen gesetzt, wie du siehst. Das macht Ableton Live für kreative Anwendungsbereiche besonders interessant. Produzenten, die komplexe Sounds erstellen wollen, lieben die Software genau so sehr wie Künstler und DJs, die einzigartige Live Sets auf die Bühne bringen wollen. Wenn man eine Idee hat, gibt es in Ableton Live fast immer einen Weg, wie man sie umsetzen kann. Im Moment gibt es auf dem Markt auch wenige Alternativen, die einem derartig komplexe Fernsteuerungsmöglichkeiten und große Routing-Flexibilität bieten.
Wenn du noch immer wissbegierig bist und mehr über die Themen EDM und Ableton lernen möchtest, dann empfehle ich dir diesen Blogbeitrag von mir zum Thema Sound-Layering. Wenn du Fragen zu Ableton hast, oder ein paar coole Rack-Ideen mit anderen Produzent*innen austauschen willst, dann schau doch mal in der mukken Musikersuche vorbei. Dort findest du Gleichgesinnte. Mir kannst du bei Fragen zu Tipps und Tricks auch gerne schreiben, ich gebe Unterricht in Musikproduktion und arbeite mit meinen Schülern mit Ableton Live. Ich würde mich freuen davon zu hören. Du findest mich hier auf mukken.com oder bei Instagram.
Ursprünglich veröffentlicht am 19. Februar 2022 aktualisiert am 11. März 2023
Fokusthema: Ableton Live: Warum benutzen so viele EDM-Produzent*innen diese DAW?