Kalandra – mystische Klänge aus dem hohen Norden
Neuer Beitrag
Seiden bestickt unter schillernden Discokugeln anmutig tänzelnd porträtiert das Duo Infernale Silk Sonic die Musik der Vergangenheit und Gegenwart in einem abenteuerlichen und wichtigen Album. Seventies-Funk, Soul, Pop, R'n'B und Hip-Hop geballt gegen die Tristesse des Augenblicks. Der erste Langspieler zweier Pop-Perfektionisten erhebt nicht den Anspruch, besonders mehrdimensional zu sein. Er ist mit seiner ziellosen Leichtigkeit im Wesentlichen ein einziger großer Rausch in eher bescheidenen Zeiten. Neun aufregende und originelle Songs, mit denen man sogar Grammys gewinnen kann, erzeugen eine euphorische Gefühlsintensität mit einem großen Augenzwinkern. Bruno Mars und Anderson .Paak laden zum Tanz und feiern die Erinnerung.
Kaum andere Spielarten des Pop sind massenaffiner und lukrativer als der R`n`B. Gibt man diesem noch etwas mehr Soul, Blues und Hip-Hop-Vibes hinzu, so erhält man das musikalische Rezept für massentauglichen Erfolg. Doch ganz so einfach ist es nicht. Mit kaum mehr als dem hier erfassten versumpft man unter Abertausenden. Die Popwelt erwartet mehr. Multitalent Bruno Mars entwickelte sich aus seiner Allerweltsmusik heraus zu einem wandelbaren und außerordentlich talentierten Sänger mit Charme. Er landete Welthits wie “Marry You” oder “Locked out of Heaven”. Songs, welche den meisten schon einmal irgendwo begegnet sind. Tausendsassa Anderson .Paak katapultierte sich über Nacht aus dem Untergrund ins Rampenlicht und erntete massenweise Begeisterung. Er arbeitete nicht nur mit und für eine Riege der wichtigsten Künstler*innen unserer Zeit wie Kendrick Lamar, Eminem, Nas, J. Cole oder Mac Miller, sondern entwickelte aus diesen Dynamiken heraus seine ganz eigene Handschrift von moderner urbaner Musik.
Beide verbindet ein erweitertes musikalisches Vokabular sowie irgendwie andersartig produzierte Arrangements. Eben Nuancen, welche in ihren jeweiligen Disziplinen seinesgleichen suchen. Aus den Fäden von damals und heute entwerfen Silk Sonic nun zwar nicht die Musik der Zukunft, erzählen aber in "An Evening with Silk Sonic" mit ungebrochener Abenteuerlust von der Geschichte afroamerikanischer Popmusik, ohne dabei rückwärtsgewandt zu sein. Wie zwei typische Eskapisten nehmen Mars und .Paak uns mit auf ein großes musikalisches Abenteuer dieser Zeit. Vor allem auch auf audiovisueller Ebene: Die drei inszenierten Musikvideos zu “Skate”, “Leave The Door Open” und “Smokin Out The Window” präsentieren eine so mitreißende Aura, die auch auf cineastischer Ebene so irrsinnig gut ist, dass die Videos zusammen mit den Songs in perfekter Symbiose zueinander stehen.
Silk Sonic liefern ein besonders trostspendendes Resultat und zeigen, dass Eskapismus auch dann möglich ist, wenn man sich nicht begegnen und berühren darf. Aufgenommen wurde ein Album, welches die Kraft besitzt zu umarmen und zu begeistern. Funky und Groove-getrieben gegen die hüftsteife Pandemie. Dass die beiden Ausnahmetalente zusammen mit Funk-Legende Bootsy Collins ihr Handwerk beherrschen, lässt sich nur erahnen. Und dann spielt auch noch ein gewisser Thundercat auf. Die Songs klingen wie verschollene Klassiker aus den Archiven des Pop der 70er bis 80er Jahre, dennoch irgendwie in unserer musikalischen Gegenwart ebenfalls verwurzelt.
Das Konzept, sich klassischen Einflüssen zu bedienen, ohne sich dabei in Referenzen von Disco-R`n`B zu verlieren, geht auf. Lyrisch erhebt das Projekt keinerlei Anspruch auf die identitätsstiftende Kraft des Soul der 60er- und 70er-Jahre. Im Gegenteil: Sie behandeln das Gefühlschaos junger Männer, ohne dabei in einer einzigen Sekunde ernsthaft zu sein. Es geht hierbei nicht um den ausgerufenen Kulturkampf der 1970er, welchem sich Genre-Größen wie Marvin Gaye, The Temptations oder andere damals verschrieben. Es geht um klangerfüllte Lebensfreude mit einem Augenzwinkern. So simpel und doch so elegant und deswegen nicht aus der Zeit gefallen. Zwei Musiker nähern sich mit ihrer “Supergroup” ihrer jeweils eigenen Geschichte und präsentieren ihre Blickwinkel mit denen man Musik betrachten kann. Daraus entsteht keine anstrengende und aufgesetzte Konzeptkunst, sondern ein musikalisches Hurra, das vieles überstrahlt.
Silk Sonic flirten pointiert mit Jazz, Afro-Percussions und psychedelischen Funk, ohne sich dabei an alten Koryphäen anzubiedern. Es ist ihre Perspektive auf Vergangenes, die Interpretation der Vergangenheit und somit die Erweiterung der eigenen Grenzen. Zugegeben: Die 31 Minuten und 17 Sekunden ihres Debütalbums sind sexy, das gesamte ästhetische Drumherum wirkt smart und rund bleibt jedoch nicht gänzlich frei von einer gewissen Eintönigkeit. Die beiden sympathischen Klangkünstler schaffen es mit ihrer Präsenz eine treibende Energie heraufzubeschwören, welche unentrinnbar fesselt. All das klingt nach einem Jahrhundert-Moment der Musik, was es gewissermaßen nicht ist und zu hoch gegriffen wäre. Es ist eine gekonnte Übertreibung unzähliger Disco-infizierter Pop-Momente, welche einfach nur Vergnügen sollen, die einen anfänglichen Witz zur ernst zu nehmenden Kunst werden lässt.
Bruno Mars und Anderson .Paak alias Silk Sonic transportieren Werte, welche auf angenehmste Weise "von gestern" sind. Die Chemie zwischen den beiden ist unbestritten und dieses Album gibt dem Ganzen weiteren Raum zu wachsen. Es klingt vertraut, irgendwie anders und neu. Ein frischer Wind bläst durch den Mainstream, denn schlussendlich waren hier zwei Federführer heutiger Popmusik am Werk, welche mit vereinten Kräften ihren eigenen Schaffens-Horizont erweitert haben. “An Evening with Silk Sonic” ist kein pathetischer Pop, sondern ein spannendes und raffiniertes Werk, mit welchem es sich lohnt, der Euphorie ganz unvoreingenommen hinzugeben.
Wer jetzt Lust bekommen hat, sich mit Gleichgesinnten über Silk Sonic und andere Künstler*innen ihrer Art zu unterhalten, der sollte unbedingt auf mukken vorbeischauen. Hier findet ihr zahlreiche Musiker*innen und Kontaktanzeigen. Wenn ihr lieber noch mehr Features zu spannenden Künstler*inne lesen möchtet, dann lohnt sich auf jeden Fall ein Blick auf unseren Blog. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Artikel über The Shins oder etwas über Schmyt? So oder so, wir freuen uns auf euch!
Ursprünglich veröffentlicht am 4. Dezember 2021 aktualisiert am 13. Dezember 2021