Kalandra – mystische Klänge aus dem hohen Norden
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Legenden innerhalb eines gewissen Genres von Musik sind überall bekannt seien es Led Zeppelin oder AC/DC im Hard Rock, N.W.A. oder Tupac im Hip-Hop, und die Sex Pistols oder die Ramones im Punk Rock. Doch was eigentlich noch viel rarer gesät und essenziell für die Entwicklung und Prägung eines speziellen Stils mitverantwortlich ist, sind die unbesungenen Helden und Heldinnen, welche niemals oder erst etliche Dekaden später die Aufmerksamkeit und das verdiente Lob und die damit einhergehende Wertschätzung ernten.
The Stooges ist ein wegweisendes Exemplar dieses Phänomens, so wegweisend, dass Kult Indie - Regisseur Jim Jarmusch es sich zur Aufgabe machte, dieses Phänomen auf Zelluloid zu bannen und so brachte er 2016 Gimme Danger heraus, eine unglaublich stilsichere und aufschlussreiche Rockumentary, welche hauptsächlich aus der Sicht des ikonischen Frontmannes Jim Osterberg alias Iggy Pop erzählt wird, doch auch die restlichen Mitstreiter kommen zu Wort, inklusive alter High School Bekanntschaften, so dass ein intimes Porträt entsteht von einer Gruppe, welche ihrer Zeit um Lichtjahre voraus war, um in ihrer aktiven Laufbahn meist nur Spott und Häme von sämtlichen Seiten entgegen geschleudert zu bekommen.
Ungleich anderer Dokumentationen über Rockbands fängt Jarmusch´s Film 1973 an, in einem Jahr, welches den persönlichen Tiefpunkt aller Stooges, vor allem wegen überbordender Drogensucht, markierte. Häufig arbeiten sich derartige Dokumentationen chronologisch durch die Ereignisse, bis sie in ihrem jeweiligen Höhe- oder Tiefpunkt münden, doch hier dient der Tiefpunkt als Prolog, um eine unfassbare Geschichte zu erzählen, die keineswegs dort endet, sondern fast vierzig Jahre später sogar noch fortgeführt wird, indem sie offiziell zu einer der einflussreichsten Rock´n´Roll Bands aller Zeiten gekürt werden durch ihre Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame im Jahr 2010.
The Stooges waren eine vierköpfige Band aus Ann Arbor, Michigan, welche sich aus Jim Osterberg (Iggy Pop), den Brüdern Ron und Scott Asheton an jeweils Gitarre und Schlagzeug und Dave Alexander am Bass zusammensetzte und 1967 gegründet wurde. Der Bandname war ein Vorschlag Rons, welcher sich auf die berühmten Three Stooges bezieht, einer US-amerikanischen Komikertruppe, welche von 1925 bis 1970 in verschiedenen Besetzungen in Slapstick-Komödien zu sehen waren. Die Quintessenz der Referenz besteht darin, dass die Jungs aus Michigan sowie ihre Komiker Konterfeis nichts Böses den Leuten gegenüber im Sinn haben, trotzdem aber von allen Seiten gepiesackt werden.
Die musikalischen Anfänge von Iggy Pop starteten bescheiden als Schlagzeuger einer High School Band namens The Iguanas; er schwelgt in angenehmen Erinnerungen, wenn er auf unvergleichliche joviale Art berichtet, wie er in seinem heimischen Trailer die Eltern derart lange mit seinem Schlagzeugspiel im Wohnzimmer auf die Nerven ging, dass er sein winziges Kinderzimmer mit dem elterlichen Schlafzimmer austauschen durfte, wo auch sein Schlagzeug hinein passte. Diese und viele andere absurde Anekdoten werden in stilsicheren und witzigen animierten Szenen innerhalb des Filmes wiedergegeben.
Doch schon schnell war er gelangweilt von der belanglosen Fließband Musik und wollte, da er von klein auf an fremdartigen Klängen interessiert war, in die weite Welt hinausziehen und wahre Kunst schaffen. Als sich die Band zusammenfand, war der ursprüngliche Name noch The Psychedelic Stooges, da sie fernab jeglicher Konventionen Klänge produziertem, teilweise aus selbstgebastelten Instrumenten und orientalischen Tönen, was von Anfang an eher Verwirrung statt Begeisterung stiftete. Später wurde der Titel auf The Stooges reduziert, und die Musik entwickelte sich zu einer rohen, primitiven Form des Rock´n´Roll. Zu dieser Zeit lebten die vier Stooges all gemeinsam in einem Haus, und wie Iggy Pop Filmemacher Jarmusch, der selbst bekennender Rock and Roll Anhänger ist, mitteilt, waren sie wirkliche Kommunisten, da sie alles gerecht gemeinsam aufgeteilt haben, sowie gemeinsame Autorschaft ihrer Songs beansprucht.
Was die Band mit ihrer kleinen Diskografie für einen Einfluss in der populären Musik und Kultur gehabt haben ist nicht zu leugnen: Verrückte, wilde Outfit Kreationen, beispielsweise das ikonische Hundehalsband, was Iggy Pop oft an seinem Hals zur Schau stellte, passend zum Song des Debüts von 1969 „I Wanna Be Your Dog“, welches wenig lobende Worte von Kritikern und Kritikerinnen einheimste und ein kommerzieller Misserfolg der Band darstellte.
Ein extravaganter Frontmann, welcher bei Auftritten völlig unzurechnungsfähig schien (es manchmal aufgrund von Drogenmissbrauch auch war) und offene, provokante Nazi – Paraphernalien in Form von Armbinden und die Liste hört nicht auf. Allein die Auflistung von verschiedenen Interpreten und Interpretinnen der Rockgeschichte, zum Beispiel Sonic Youth und sogar die Sex Pistols, welche klar und offen Stooges Songs covern und Tribut an die wegbereitenden Künstler aus der Midwest Region zollen, welche visuell ästhetisch vom Regisseur inszeniert wird, sprechen eine deutliche Sprache. Damals verhöhnt, heute vergöttert.
Nach zu langer Zeit von grenzenloser Freiheit, vor allem in Bezug auf Heroinkonsum, zerfiel die Band nach und nach. Zu dieser Zeit waren die ersten beiden Alben veröffentlicht, und nachdem Iggy nach London ging und sich neu orientierte, unter anderem durch Hilfe von niemand geringerem als David Bowie, kam 1973 das dritte und finale Album der Band „Raw Power“ heraus, mit Ron Asheton nun am Bass und dafür Neuzugang und Kindheitsfreund James Williamson an der Gitarre, doch die persönlichen Umstände von Iggys Heroinsucht konnten sich nicht verbessern und so warf die Band letztendlich im Februar 1974 das Handtuch.
2003 gab es die nun legendäre „Reunification“ der Band, einen Ausdruck, auf dem Iggy Pop vehement beharrt anstelle von Reunion, gemeinsam mit den verbliebenen überlebenden Mitgliedern, wo die Band, wie auf „Raw Power“ den Namen Iggy and The Stooges wählte. Diese Wiedervereinigung sollte bis insgesamt 2016 anhalten, dem Erscheinungsjahr von Gimme Danger, denn zu dem Zeitpunkt verstarben neben Dave Alexander noch Ron und Scott Asheton, Ron starb aufgrund einer Herzattacke im Jahr 2009 und sein Bruder Scott mit derselben Diagnose im Jahr 2014, und im Jahr 2015 verstarb der Live-Saxophonist Steve Mackay, der auf dem Album „Fun House“ drei Liedern sein Können am Saxofon verlieh und seit 2003 bis zu seinem Tod die Band live unterstützte.
Es ist schon unglaublich, was Jim Jarmusch mit seiner Rockumentary an einer Vielzahl von unbekannten Fakten über die Band, trotz ihrer jahrzehntelangen Karriere, an die Oberfläche bringt. Auf Amazon Prime ist die Doku in voller Länge zu sehen, welche einen sehr guten Fluss hat und die knapp zwei Stunden wie im Flug vergehen lässt. Allen voran die charismatische Erzählweise des Frontmannes fesselt und unterhält durchgehend, intelligenterweise entschied Regisseur Jim Jarmusch sich dafür, ihn als Haupterzähler einzusetzen und ihm auch die Iggy Pop verurteilt weder, noch verherrlicht er die Erfahrungen, die er und seine Mitstreiter über die Jahre mit Exzessen sexueller, gewalttätiger und drogeninduzierter Natur gemacht haben, sondern erzählt nüchtern und charismatisch, wie sich die Dinge abgespielt haben.
Es wäre äußerst heuchlerisch, den erhoben Zeigefinger zu schwenken und auf Moralapostel zu machen, wenn man selbst menschliche Fehler über die Biografie hinweg gemacht hat, und Iggy Pop ist intelligent genug, das zu erkennen. Er endet die Dokumentation auf elegante, lyrische Art und Weise, was im direkten Konflikt zu den Vorwürfen der einstigen Kritikerstimmen liegt, welche ihm vorwarfen, lyrisch völlig unbegabt und infantil zu sein, denn er sagt, dass er weder Hip-Hop noch Punk sein will, oder eine ähnliche auf eine Subkultur begrenzte Identität, sondern rein sein will. Das wäre doch ein Ideal, was es wert ist, zu erstreben, nicht irgendeine diktierte Identität, welche sich aus der Arbeit oder anderen Statussymbolen zusammensetzt.
Geht es euch ähnlich wie Iggy Pop, und ihr wollt auch euren musikalischen Horizont erweitern und nicht simpel in Schubladenkategorien denken, wenn es um Musik geht? Dann schaut euch an, was der mukken Blog an Vielfalt zu bieten hat: von Features über Bands, wie beispielsweise der kurze Exkurs zu Kvelertak oder ein Einblick zu einer der langjährigsten US - Death Metal Bands Immolation, bis hin zu informativen Auseinandersetzungen mit Musikprogrammen und hilfreiche Hinweise zu verschiedenen Spiel- und Gesangstechniken. Weitere Artikel zu Dokumentationen, Filmen und Büchern wie etwa Autobiographien sind bereits in Arbeit, um mukken zu einem Format für grenzenlose musikalische Vielfalt zu etablieren, weil Musik zusammenbringt. Um es in Iggy Pop´ s Worten zu sagen: „Music´s life and life is not a business.“
Ursprünglich veröffentlicht am 9. April 2022 aktualisiert am 13. Mai 2022
Fokusthema: Bo Burnham: Inside – Eine dokumentarische Musikkomödie für unsere verwirrte Zeit