Kalandra – mystische Klänge aus dem hohen Norden
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Der Kontrast zwischen Jazz und Metal ist mit bloßem Auge mehr als offensichtlich. Dennoch gibt es einige große Ähnlichkeiten, die sie unaufhaltsam miteinander verbinden. Auf oberflächlicher Ebene könnten diese beiden Musikgattungen stilistisch nicht weiter auseinanderliegen. Doch vor allem in den technischen Subgenres des Metal finden sich jede Menge Einflüsse und Markenzeichen des Jazz. Hinzu kommt, dass zu Zeiten der Prohibition, die vor etwa einem Jahrhundert in den Vereinigten Staaten stattfand, Jazz als schäbige Untergrund-Musik bezeichnet wurde. Es schwelgte in der Dekadenz seiner Künstler*innen, die meist in sogenannten Speakeasies auftraten. Kneipen und Bars, die heimlich hochprozentigen Alkohol verkauften. Imperial Triumphant ist eine relativ neue Band aus New York City. Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, schwindelerregende Free-Jazz-Eruptionen mit der strafenden Schwere von extremem Metal zu verschmelzen.
Geleitet von der Vorstellung, degenerierte Dekadenten zu sein, haben die drei rätselhaften Herren eine Aura des Mysteriösen um sich herum konstruiert. Und zwar, indem sie lange, schwarze Umhänge und reich verzierte goldene Gesichtsmasken tragen. Kann Imperial Triumphant diese Verschmelzung von Stilen organisch erscheinen lassen oder verlieren sie mit ihrem unverfroren anstrengenden Stil potenzielle Zuhörer*innen?
Ilya ist die wichtigste kompositorische Kraft hinter Imperial Triumphant, welche die dualen Aufgaben Gitarre und Gesang übernimmt. Laut Interviews mit ihm ist der musikalische Hauptbestandteil in Wirklichkeit Jazz. Dies geht auf den Wunsch zurück, seiner Heimatstadt New York City durch Musik ein Testament geben zu wollen. Wie bereits erwähnt, war Jazzmusik vor allem in den städtischen Gebieten der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts mit niederträchtigen, degenerierten Ausschweifungen verbunden. Natürlich würde New York zum Brennpunkt dieser empfundenen Verfehlungen werden. Denn eshat eine reiche, vielfältige Geschichte und ist schnell eine der wohlhabendsten Städte der Welt geworden.
Um die Extravaganz New Yorks zu ehren, wurde Imperial Triumphant mit ebenso extravaganter Musik gegründet. An der Wurzel der Musik verweilt eindeutig eine Form des Free Jazz und bricht gelegentlich durch. Dadurch entstehen echte Kakophonien, die bereits an Noise grenzen. Indem jedoch eine Legierung aus Black und Death Metal über den jazzigen Kern gelegt wird, verwandelt sich die Musik in etwas wirklich Spukhaftes. Sie verweilt in einer bösartigen Atmosphäre, die aus urbaner Dekadenz entstanden ist.
Textlich bietet Imperial Triumphant einen berauschenden Blick auf aktuelle Themen. Insbesondere im Hinblick auf den mühsamen Prozess des Baus und Unterhalts einer ganzen Stadt. Und die unvermeidlichen Auswirkungen, die mit einer aufstrebenden Metropole einhergehen. Oft fokussiert auf den perversen Luxus der herrschenden Klasse, konzentriert sich die Erzähl-Linse auch auf den Kampf derer, die nicht wie der Rest gedeihen. Die, die gezwungen sind, im Elend zu leben.
Beide Seiten des städtischen Arguments sind in den Lyrics vertreten. Doch in Absprache mit ihren aufwändigen Kostümen lenkt Imperial Triumphant klar in Richtung der kaltschnäuzigeren und gleichgültigen Elite. Die Wahl zusätzlicher Instrumente wie Saxofone, Blechbläsertrompeten und seltsame Perkussionen wie die japanischen Taiko-Schlagzeuge (auf Alphaville von Tomas Haake von Meshuggah gespielt) veranschaulichen die abscheuliche Opulenz, die Imperial Triumphant eifrig kritisiert. Hin und wieder gibt es Passagen und Titel auf Russisch, da Ilja's Familiengeschichte bis nach Russland zurückreicht. Wie zum Beispiel Lieder wie "Chernobyl Blues" und "Bezamnaya", was übersetzt verrückt bedeutet.
Wenn der Punkt der urbanen Dekadenz und der ständigen Desensibilisierung der Menschen in den Städten noch nicht eindeutig festgelegt wurde, werden die kultähnlichen Live-Auftritte jeden weiteren Zweifel lösen. Die aufwendigen Masken, welche die bekleideten Silhouetten der drei Verrückten schmücken, bilden bereits eine Atmosphäre von Intrigen, die im Verborgenen gesponnen werden. Es ist nicht verwunderlich, dass diese Masken mit ihrem Art-Deco-Stil und emotionslosen Gesichtern eine auffällige Ähnlichkeit aufweisen. Eine Ähnlichkeit mit jenen, die von dem geheimen Kult getragen werden, der in Stanley Kubricks letztem Film "Eyes Wide Shut", welcher ebenfalls in New York spielt, dargestellt wird.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht als bloßer Zufall, sondern als bewusstes Bemühen, die Absicht von Imperial Triumphant weiter zu demonstrieren. Während ihrer frenetischen und seltsamen Live-Shows sonnen sich die drei Jungs hinter Imperial Triumphant im Glanz Molochs. Sie feiern die verkommenen Wege, auf denen jede moderne Stadt errichtet und gepflegt wird. Um das ganze Erlebnis zu krönen, wird jedes Mal eine Flasche Champagner über das Publikum geschüttet. Damit soll die Verdorbenheit und Dekadenz unterstrichen werden, die mit dem Leben in einer Metropole einhergeht. Die schwindelerregende Musikalität, in welcher keine Power-Akkorde gespielt werden, begleitet und führt das Publikum durch die Tiefen der menschlichen Dekadenz.
Die Ausschweifung des Überflusses ist in jeder Faser der musikalischen Bemühungen von Imperial Triumphant präsent. Reine technische Virtuosität trifft auf Noise-anmutende Klanglandschaften. Alles rund um die Band schreit nach Ehrgeiz. Von ihren aufwendigen Kostümen zu den unmenschlichen Spielfähigkeiten lassen vor allem Schlagzeug und Bass Kiefer am Boden hängen. Dies ist Jazz in seiner perversen logischen Konsequenz, beschichtet von einer metallischen Legierung.
Imperial Triumphant überwinden mit ihrer Mischung aus technischem Death und Black Metal, was an Avantgarde grenzt, bloße Genregrenzen. Dies ist eine Band, wo das Label Avantgarde wirklich passend ist, da es aus dem Französischen abgeleitet ist und wörtlich Vorhut bedeutet. Mit ihrem völligen Wahnsinn eines musikalischen Angriffs sind Imperial Triumphant Wegbereiter einer unerschlossenen Musikquelle und werden künftige Bands sicherlich dazu inspirieren, ihren eigenen Weg zu gehen. Aber wie sieht dieser Weg genau aus? Sind lobende Worte in irgendeiner Weise gerechtfertigt?
Die Band wurde ursprünglich im Jahr 2005 als neoklassisches Black-Metal-Projekt gegründet, wovon die ersten beiden Alben eindeutig zeugen. Dieser Ansatz wurde zehn Jahre beibehalten. Aber sobald der Zauberer am Bass Steve Blanco 2015 der Band beigetreten ist, begann sich die Richtung zu ändern. Im Jahr 2012 trat der aktuelle Schlagzeuger Kenny Grohowski in die Band ein und blieb seitdem hinter dem Kit. Diese beiden Herren spielen so gut miteinander, dass es musikalisch einen kompletten Tempowechsel erforderte.
Die Veröffentlichung des dritten Albums "Vile Luxury" würde die Wende zu einer neuen, dynamischen Band markieren, die einen einzigartigen Ansatz und eine Vision hat. Diese Veränderung zeigt sich bereits im ersten Track "Swarming Opulence", der mit einer wilden Palette von Posaunen und Trompeten beginnt und die Stimmung auf eine köstlich erfrischende Form des Bösen setzt.
Im Vergleich zu den vorherigen Bemühungen von Imperial Triumphant wechselt dieses Album die Gangart gewaltig. Es nimmt die verdrehte Welt der urbanen Dekadenz mit offenen Armen auf. Sogar Tubas sind zu hören. Alle Blechblasinstrumente passen in ein zusammenhängendes Ganzes, anstatt wahllos aus einem Brei zu klingen, wie durch die Hände einer schwächeren Band.
Zwei Jahre später erschien der Nachfolger "Alphaville", der den Status von Imperial Triumphant als neuartige Truppe vollständig zementieren sollte. Die einzelnen Songs bekommen mehr Zeit zum Atmen und für deren Entwicklung, ohne jemals ermüdend oder gar langweilig zu werden. "Rotted Futures" und "Atomic Age" sind klare Höhepunkte auf dieser Platte. Sie zwingen die Zuhörenden, von einer Dystopie zu zeugen, die sich nicht weit von der realen Welt entfernt fühlt. Es gibt sogar zwei Bonustracks: Beides Cover von den mächtigen Voivod, sowie der Kult-Untergrund-Band The Residents, die mühelos in Imperial Triumphant´s Sound verwandelt werden.
Weitere zwei Jahre später, am 22. Juli, erschien ihr fünftes Album "Spirit of Ecstasy" bei Century Media Records und ist das bisher fokussierteste Album. Jedes Lied hat einen einzigartigen Twist, der mehrere Hördurchläufe belohnt, wie auch der Rest der großartigen Diskografie von Imperial Triumphant. Es ist Musik für Musikliebhaber*innen, die sich nach neuen aufregenden Klangkombinationen sehnen. Die Geduld und Ausdauer werden sich für die meisten sicherlich auszahlen.
Songs wie "Merkurius Gilded", der einen überwältigenden Saxofon-Part enthält, oder der finale "Maximalist Scream", der den unnachahmlichen Snake von Voivod als Gastgesang hat, bieten sowohl ein strafendes als auch ein kathartisches Hörerlebnis. Die drei Männer von Imperial Triumphant entwickeln sich immer weiter zu einem Biest, das so noch nicht zu hören war und sicherlich einigen vor den Kopf stoßen wird. Aber diejenigen, die anspruchsvolle Musik schätzen, werden über Jahre etwas zu verdauen haben.
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Ursprünglich veröffentlicht am 29. Oktober 2022 aktualisiert am 9. März 2023
Fokusthema: Der Schmyt - Underdog, Newcomer und Ausnahmetalent