Kalandra – mystische Klänge aus dem hohen Norden
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Eines der ominösesten musikalischen Phänomene der letzten 40 Jahre entstand in Norwegen der späten 80er und frühen 90er Jahre, namentlich Black Metal, welches eine gesamte Nation in Angst und Schrecken versetzte. Mord, Suizid und Brandstiftung werden seit jeher mit den Anfängen des Black Metal assoziiert, doch was ist mit der Musik und denjenigen, die das Genre begründeten? Unzählige Mythen und Geschichten ranken sich um die wahren Ursprünge dieses extremen Auswuchses des traditionellen Heavy Metal, allen voran über die individuellen Motivationen der enigmatischen Hauptakteure, die den sogenannten Black Circle in Oslo gründeten. Dieser Black Circle stellte eine Art Geheimclub dar, der nur den auserlesenen Wenigen zuteilwurde. Um genau diese Phase des Genres geht es in Jonas Åkerlund ´s Film "Lords Of Chaos" aus dem Jahr 2018.
Åkerlund war selbst von 1984 bis 1985 der Session Drummer der schwedischen Band "Bathory", einer der Pionierbands für das gesamte Genre, zusammen mit den Briten von Venom, womit gleich ein Anflug von Authentizität vonseiten der Filmemacher ausgeht. Denn um der Authentizität willen wird sich allen voran im Black Metal Genre besonders stark gebrüstet und gerade diese Diskrepanz zwischen wirklicher und wahrgenommener Authentizität bildete das Zentrum in den frühen Jahren des norwegischen Black Metal, welches im Konflikt zwischen Euronymous und Varg Vikernes, den Köpfen hinter den Bands “Mayhem” und “Burzum”, seinen tragischen Höhepunkt fand.
Unzählige Gerüchte streuen sich um den Anfang des norwegischen Black Metal, da er gespickt ist von fast allen menschlichen Tragödien. Lords of Chaos, welcher lose auf den gleichnamigen Bestseller von Michael Moynihan und Didrik Søderlind basiert, der innerhalb der Black Metal Kreise viel Hohn und Spott erntete aufgrund seiner angeblich fehlerhaften Wiedergabe der Ereignisse, brilliert genau dadurch, dass er sich auf das Wesentliche konzentriert: Den Menschen hinter den Kostümen.
Direkt zu Beginn des Filmes erscheint eine Aufschrift, die besagt, dass der folgende Film zugleich auf Wahrheit und Lügen beruht, was einen klugen Schachzug von Seiten der Regie offenbart, somit kann man sich gewissen Kritiken bewusst entziehen. Die wie aus dem Nichts kommenden Horden von fahl geschminkten und mit Schwertern und Fackeln bewaffneten Bösewichten sollten über die frühen 90er Jahre eine der wohlhabendsten Nationen dieser Erde terrorisieren und all dies geschah anscheinend im Auftrag des Teufels. Wer waren die Menschen hinter den teilweise gräulichen Aktionen? Lords of Chaos wagt einen Erklärungsversuch.
Der Film beginnt Anfang der 90er im Proberaum der bis dato noch unbekannten Band Mayhem und behält über die knappen zwei Stunden Laufzeit den Fokus auf dem Kopf der Band, Øystein Aarseth, besser bekannt unter seinem Pseudonym Euronymous, basierend auf einem Dämon der griechischen Mythologie.
Gespielt wird er im Film von Rory Culkin, dem kleinen Bruder von niemand geringerem als Macaulay Culkin, Kevin allein zu Haus. Generell werden im Film einige Rollen mit Verwandten oder Sprösslingen von bekannten Darstellern besetzt: Jack Kilmer, der Sohn von Val Kilmer, spielt Per Yngwe „Dead“ Ohlin, den berüchtigten ersten Frontmann von Mayhem, und Valter Skarsgård aus der berühmten Skarsgård -Schauspiel Dynastie, mimt Bård „Faust“ Eithun, einen der nachgewiesenen Mörder innerhalb des Black Circle.
Selbst ein Ochsenknecht ist mit dabei als Comic Relief Charakter, in den Credits einfach als Varg´s Fahrer betitelt, was bei einer solchen Thematik zwingend notwendig wird, da eine Prise Humor all das Leid und den Wahnsinn etwas bekömmlicher macht und der Schwere gut entgegensteuert. Denn wenn die Geschichte genauer unter die Lupe genommen wird, so entfaltet sich eine Tragödie des jugendlichen Leichtsinns, wie sie das Leben selbst am besten schreibt.
Der junge Euronymous versucht alles in seiner Macht stehende, um seine große Karriere als norwegischer Rockgott zu starten. Die charakteristischen kalten und gruseligen Tremolo-Riffs, die Black Metal´s düstere Atmosphäre verdeutlichen, sind auf Aarseth zurückzuführen, der sie zuerst in dieser Aneinanderreihung spielen sollte. Nach anfänglichen Schwierigkeiten stößt ein junger Schwede, der sich „Dead“ nennt, als Sänger der Band Mayhem bei, mit dessen unmenschlicher Präsenz und dessen schockierenden Live – Shows die Band sich rasch einen Namen im aufstrebenden Untergrund macht.
Doch „Dead“ ist mental schwer gezeichnet von einem Vorfall auf dem Schulhof, bei dem er kurzzeitig klinisch tot und seitdem mehr mit dem Tod als mit dem Leben verbunden war, was er auf der Bühne veranschaulichte, in dem er sich vor aller Augen selbst verstümmelte und Kleidung trug, die er vorher für zwei Wochen begrub.
Zu der Zeit treffen sie auf den schüchternen und leicht trotteligen Kristian aus Bergen, der sich bei Mayhem noch keinen Respekt verschaffen konnte. Dieser unbeholfene Charakter entwickelt sich in Lords of Chaos immer weiter zu Euronymous´ Erzfeind, da er sich zu sehr mit den satanischen Themen der Texte identifiziert und leeren Worten greifbare Taten folgen lassen möchte. Und so kommt es, dass er sich umbenennt in Varg, dem norwegischen Wort für Wolf, und seine Einzelkampagne des Schreckes beginnt, die bald in Oslo widerhallen wird.
Lange bleibt das Line-Up mit Dead nicht bestehen, denn kurz nachdem es der Band gelingt, größere Bekanntheit zu erringen, suizidiert er sich in einer Hütte mit einer Schrotflinte, was in Lords Of Chaos bis ins kleinste Detail grafisch dargestellt wird. Daraufhin gründet Eurynomous sein eigenes Label, Deathlike Silence, Plattenladen inklusive und versucht sein Bestes, um möglichst böse und mysteriös zu wirken, insbesondere vor den Mitgliedern des neu entstandenen Black Circle im Kellergewölbe des Ladens.
Dann verbreitet sich die Kunde über ein Attentat auf eine alte Kirche, die bis auf die Grundmauern niedergebrannt wurde. Kurz darauf gibt sich Varg als Strippenzieher zu erkennen und wird in die Untergrundgesellschaft initiiert. Bald stößt er als neuer Bassist bei Mayhem hinzu und so entwickelt sich eine unerbittliche Rivalität zwischen ihm und Euronymous darüber, wer der echteste Black Metaller in Norwegen sei.
Diese kindliche Rivalität mündet in einer schrecklichen Tragödie, und hatte im Vorfeld bereits einige verlorene Seelen dazu ermutigt, Böses zu vollbringen im Namen des Black Metal, um endlich Jemand sein zu können.
Inszenatorisch wirkt Lords of Chaos für einen signifikanten Teil wie ein aufwendiges Musikvideo, was nicht allzu verwunderlich sein sollte, denn Regisseur Jonas Åkerlund hat nach seiner persönlichen Black Metal Karriere das Ruder herumgerissen und dirigierte Dutzende von hochkarätigen Musikvideos. Beyoncé, Lady Gaga, Madonna, Rammstein und die Liste geht weiter mit namhaften Stars, mit denen er in seiner illustren Karriere kollaboriert hat.
Dementsprechend hoch war das Maß an Verachtung vonseiten der originären Gruppe, als bekanntgegeben wurde, dass der Film erscheint. Gerade dieser militante Elitarismus macht es weiterhin schwer, Zugang zu dieser Musikrichtung zu erlangen, und ist an und für sich ein Indiz für mangelndes Reflexionsvermögen und innerlicher Stagnation.
Musik enthält derart viele spannende und immersionsfreudige Klänge aus etlichen Bereichen, und auch der anfangs stark primitive Black Metal hat sich über die Jahre zu einer legitimen Kunstform entwickelt, dessen klangliche Sphären sämtliche Emotionen des menschlichen Spektrums enthalten und über die jugendlichen Missetäter hinauswächst.
Die beste kreative Entscheidung, die Åkerlund bei Lords of Chaos trifft, ist die Bands fast peinlich menschlich zu porträtieren und somit die Geschichte um Mayhem und Burzum als warnendes Beispiel gegen jugendlichen Leichtsinn und grenzenlosen Wohlstand zu inszenieren.
Zum einen waren die Involvierten zu dem Zeitpunkt der Geschehnisse teilweise noch jugendlich, und werden herzlich von ihren jeweiligen Schauspielern gespielt, zum anderen gilt Norwegen als eine der wohlhabendsten Nationen auf dem Planeten und gerade an einem Ort, wo alles scheinbar perfekt und sicher zu wirken scheint, brodelt tief im Inneren ein gewaltiges Meer aus Enttäuschung und Melancholie, welches explodiert, falls sich nicht darum gekümmert wird.
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Ursprünglich veröffentlicht am 16. Juli 2022 aktualisiert am 14. September 2022
Fokusthema: Der Schmyt - Underdog, Newcomer und Ausnahmetalent