Amy - das tragische Schiksal der Amy Winehouse
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Wie funktioniert Kreativität? Woher kommt Inspiration? Und kann man sie kontrollieren, wie ein wildes Tier bändigen und dann freilassen, wenn man sie gerade braucht? Die Menschen versuchen das seit Jahrzehnten auf alle erdenklichen Weisen. Zum Beispiel in Werbeagenturen, Studios, bei Songwriter*innen oder in Film und Fernsehen. Geht bei dieser Optimierung von kreativen Prozessen nicht auch etwas verloren? Und kann es auf diese Weise echte Musik-Innovation überhaupt noch geben?
Der Keim eines guten Produkts ist immer eine gute Idee.
Und hier fängt das Problem schon an. Das Wort „Produkt“ ist das erste, das mir an dieser Stelle sofort in den Sinn kommt. Doch können kreative Werke, die Emotionen hervorrufen, das Leben von Menschen prägen und einen manchmal wie gute Freunde durch das ganze Leben begleiten, gleichzeitig Produkte sein? Müssen sie das vielleicht sogar, um entstehen zu können?
Hier fängt das Dilemma an. Für Kunst braucht es in der Regel extrem viel Zeit und Raum. Denn Inspiration ist eine unzuverlässige Geliebte. Das Werk, welches am Ende dabei rauskommt, ist eben nicht nur das Produkt der Arbeit, die direkt in Werk XY gesteckt wurde. Es ist vielmehr das Ergebnis einer Lebensart, eines Charakters und nur ein Wegpunkt auf einer großen Karte. Hinzu kommen die Jahre, die vorher schon darauf verwendet wurden, sich das handwerkliche Können anzueignen, um Ideen überhaupt umsetzen zu können. Kreativität funktioniert meistens nicht nach dem Prinzip „mich küsst die Muse und jetzt erschaffe ich mal kurz etwas Einzigartiges“. Sie ist vielmehr das Ergebnis jahrelanger Arbeit und Leidenschaft auf einem Weg mit einigen Höhen und vielen Tiefen.
Dieser Raum, der benötigt wird, um wirklich lange genug an Werken arbeiten zu können, verlangt unter anderem eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit. Der romantischen Vorstellung von Künstler*innen, die Tag und Nacht an ihrer Kunst arbeiten und Musik-Innovation erschaffen, steht ganz schnell die nüchterne Realität eines leeren Kühlschranks gegenüber. Künstler*innen brauchen also ihr Werk als Produkt. Und das Produkt braucht die Künstler*innen, damit es überhaupt zu einem werden kann.
Als Newcomer*in ist es natürlich überhaupt nicht selbstverständlich, sofort Geld mit der eigenen Kunst zu verdienen. Das heißt, man muss sich mit Nebenjobs oder musikalischen Dienstleistungen über Wasser halten. Und auch hier muss erst einmal ein Netzwerk aufgebaut werden, um an diese – immer weniger werdenden – musikbezogenen Jobs zu kommen. Auf der anderen Seite wird trotzdem erwartet, dass in allen Bereichen so performed wird, wie etablierte Künstler*innen es tun. Denn das ist das Niveau, das die Konsument*innen gewohnt sind und somit auch erwarten. Künstler*innen sind also längst nicht mehr nur Musiker*innen. Sie müssen sich selbst vermarkten, um möglichst sichtbar zu werden. Denn Sichtbarkeit ist mittlerweile mindestens genauso wichtig wie die Musik selbst.
Wer Vorträge zur optimalen Nutzung von Social Media hört, wird das alles erst mal immer sehr plausibel finden. Dass Musiker*innen allerdings hauptberuflich keine Influencer sind, die sich ununterbrochen um die eigenen Accounts kümmern können, wird hier nie zum Thema gemacht. Musiker*innen müssen neben ihrem Social Media-Auftritt mit ihrer Musik Geld verdienen. Sie müssen Songs schreiben, Konzerte spielen und sich auf ihren Instrumenten weiterentwickeln. Ein Großteil der Social Media-Ratschläge sind für Independent-Künstler*innen, die kein großes Team hinter sich haben, also schlicht und ergreifend nicht alltagstauglich.
In einer Welt von Amazon und Co. sind wir es gewohnt, dass alles zu verlässlichen Zeitpunkten sehr schnell verfügbar ist. Auf verschiedenen Plattformen werden wir in jeder Sekunde entertaint, bis eigentlich niemand mehr wirklich aufnahmefähig ist. Auch Künstler*innen sollen also bitte regelmäßig Content kreieren. Der Inhalt ist hier prinzipiell eher nebensächlich. Sie sollen sich nahbar geben, aber auch nicht zu privat, das entzaubert den Mythos. Ach ja, und bitte nur die glorreichen Seiten, denn auf Social Media lässt sich ja alles so darstellen, wie es gerade scheinen soll. Denn nur wer so oft es geht Stories, Reels und Posts auf den verschiedenen Plattformen postet, macht die vermeintlichen Erfolge auch sichtbar.
Wer verlässlich Content liefert, vermittelt Erfolg und hat so die Chance, diesen wirklich mal zu haben. „Fake it til you make it“, das hatte schon Bowie verstanden, als er am Anfang seiner Karriere immer den größten Flügel der Stadt in die Location bringen ließ. Das war allerdings nicht so perfide wie das, was heute passiert. Denn am Ende war eben in der Realität der größte Flügel für alle sichtbar vor Ort.
Der Musikmarkt ist insgesamt in den letzten Jahren vom Album weggerückt und eher singlebasiert geworden. Das macht es an sich natürlich erst einmal einfacher, auch regelmäßig neue Songs zu veröffentlichen. Die Flut an neuen Sachen, die dadurch veröffentlicht wird, verschüttet diese aber sehr schnell. Und echte Musik-Innovation? Die könnte hierbei ziemlich auf der Strecke bleiben. Jeder jagt die Algorithmen von Spotify, Tik Tok und Co. Und mit viel Glück kann das ein großer Schub sein. Wer allerdings durch das Raster fällt, geht einfach im Grundrauschen unter und muss halt auf mehr Glück beim nächsten Release hoffen.
Sollte Kunst nicht mehr sein, als einfach nur die Jagd nach Algorithmen?
Wenn in einer großen Gruppe alle laut schreien, wird zwar niemand mehr gehört – die, die allerdings leise bleiben, haben nicht einmal mehr eine Chance auf ein paar Krümel vom Kuchen. Social Media ist natürlich eine super Möglichkeit für Promotion und macht einiges einfacher. Aber eben nur in Phasen, in denen etwas zu promoten da ist. Wenn der Anspruch an Künstler*innen ist, täglich Entertainment zu bieten, bleibt fast keine Zeit mehr für das, was uns ursprünglich zu Fans der jeweiligen Künstler*innen gemacht hat. Die Musik.
Als es Anfang des Jahres einen Skandal um künstlich in die höhe getrieben Streamingzahlen im Deutschrap gab, war niemand so richtig überrascht. Wo es doch auf Social Media schon seit Facebook gang und gäbe ist, sich Follower*innen zu kaufen. Und doch gibt es einem zu denken, welche Acts sich den Erfolg eingekauft haben und warum das überhaupt so entscheidend ist. Getreu dem bereits zitierten Motto „Fake it til you make it“ lässt sich auf hohen Streaming- und Follower-Zahlen durchaus eine Karriere aufbauen. Denn die Zahlen sehen die Fans meistens schon, bevor sie sich etwas anhören. Die Algorithmen tun ihr Übriges und tragen viel geklickte Künstler*innen bei neuen Releases dann deutlich umfassender in die Welt hinaus. Eine Art „Self fulfilling prophecy“.
Auch ist das Promobudget bei den Major Labels natürlich ungleich größer als bei Independent-Künstler*innen oder kleinen Labels. Labels, die noch mit einer Prise Idealismus unbekannte Künstler*innen signen und nicht ausschließlich auf die Marktsituation und die nackten Zahlen fixiert sind. Sie sind auf der Suche nach Musik-Innovation. Doch in einer Welt, in der es immer mehr um Präsenz und Sichtbarkeit geht, ist ein großes Promobudget natürlich ein umso größerer Vorteil.
Klar gibt es auch im Pop immer wieder Acts, die Musik-Innovation hervorbringen, doch gefühlt werden diese immer weniger sichtbar. Viele Acts, die Erfolg haben, kochen entweder erfolgreiche Genres der letzten Jahrzehnte auf oder versuchen möglichst nah an das zu kommen, was momentan sowieso gut läuft. Die Branche war schon immer ein Business, doch war die Situation vor dem Streaming- und Internetzeitalter und auch finanziell eine andere. Allein in den USA brach der phonografische Absatzmarkt (der Handel mit Aufnahmen wie zum Beispiel CD´s , Platten oder Einnahmen aus Streaming) um die Jahrtausendwende innerhalb von drei Jahren um 17,4 Prozent ein. Zwar wächst der Markt seit ein paar Jahren wieder, ein Effekt, den die damalige Transformation hatte, ist natürlich trotzdem längst eingetreten.
Früher mussten Künstler*innen auf Tour gehen, um ihre Platten zu promoten und möglichst viele davon zu verkaufen. Heute müssen Künstler*innen Platten machen, um auf Tour gehen zu können. Da ist der Zeitdruck, ein neues Werk fertigzustellen, im Zweifel dann deutlich höher. Denn bei durchschnittlich circa 0,3 Cent pro Stream bei Spotify ist das Live-Geschäft eine der wichtigsten Einnahmequellen. Bei kleinen Acts oft die einzig entscheidende, denn die Verteilung der Einnahmen aus dem Streaming kommt vor allen Dingen den großen, viel geklickten Acts zugute.
Bei vielen der größeren Acts im Pop werden dadurch weiter alle (kreativen) Abläufe optimiert. Es werden Songwriting-Camps für das nächste Sternchen veranstaltet und die Songs exakt auf den Markt zugeschnitten. Wenn ein viral gegangener Song auf Tik Tok reicht, um eine ganze Karriere darauf aufzubauen, dann sieht das alles von außen auf einmal ganz einfach aus. Wie groß das Team dahinter ist, ist auf den ersten Blick natürlich nicht sichtbar. Wenn es wichtiger ist, die Vermarktung der eigenen Person voranzutreiben, als sich um ein neues Album zu kümmern und sich wirklich in Themen einzuarbeiten, wird es schwierig, wirklich innovativ zu sein.
Den Konflikt zwischen künstlerischem Idealismus und der Tatsache, dass Künstler*innen trotzdem von irgendwas leben müssen, gibt es natürlich nicht erst seit gestern. Trotzdem hat sich in den letzten Jahren so viel verändert, dass das Business und auch das eigene Konsumverhalten durchaus mal kritisch hinterfragt werden können.
Dieser Artikel soll keinesfalls in den „früher war alles besser“-Chor einstimmen. Aber über die Möglichkeiten der heutigen Zeit für Künstler*innen wurde schon viel geschrieben. Und viele Dinge sind in der Tat viel einfacher geworden. Doch bürgen die heutigen Möglichkeiten eben auch die Gefahr, dass alles glattgeschliffen und immer bekömmlicher wird. Und Kunst sollte doch eigentlich anecken können.
Dieser Artikel soll vielmehr ein Plädoyer sein, den Musikschaffenden einfach mal mehr Zeit zu geben. Als Konsument*in wieder davon wegzukommen, Künstler*innen wie Dienstleister*innen zu sehen, die gefälligst zu liefern haben. Ein Plädoyer dafür, mal auf Konzerte von kleineren Bands zu gehen und vielleicht sogar ein Shirt oder eine Platte mitzunehmen. Mal richtig hinzuhören, auch wenn die Zahlen der Künstler*innen (noch) nicht stimmen. Einfach mal wieder in kleinere Läden zu gehen und somit gleich noch einen kleinen, aber feinen Beitrag gegen das Clubsterben zu leisten. Denn diese Clubs sind für Newcomer*innen die einzige Möglichkeit, Touren zu spielen und irgendwann mal davon leben zu können. Einmal zu Metallica oder vielleicht doch lieber auf fünf Konzerte im Molotow, Knust, Astrastube und Co. Da kostet das Bier dann auch keine 6,50€.
Du siehst das alles genauso und willst dich für mehr Raum für Musik-Innovation einsetzen? Oder du bist anderer Meinung? Dann tausch dich jetzt auf mukken mit anderen Musikbegeisterten aus. Du möchtest selbst Musik machen und zwar der Musik Willen? Dann findest du hier außerdem tolle Mitmusiker*innen aus deiner Stadt. Und wenn du dich weiter in die Welt der Musik einlesen möchtest, dann schau mal auf unserem Blog vorbei und lies zum Beispiel einen Artikel zur Frage, ob moderne Rockmusik tot ist oder zum Post-Punk.
Ursprünglich veröffentlicht am 17. September 2022 aktualisiert am 9. März 2023
Fokusthema: Belting – eine Gesangstechnik mit zwei Medaillen-Seiten