Amy - das tragische Schiksal der Amy Winehouse
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Die britisch-irische Gesellschaft taumelt. Rassismus, Homophobie, patriarchalische Verhältnisse, die Weltabgewandtheit der Oberklasse und allem voran der Brexit, rufen ein gesellschaftliches Klima hervor, welches gerade für junge Menschen zweifelsohne verderblich ist. Am Rande des Zusammenbruchs einer ganzen Working-Class-Generation versammelt sich so viel Wut und Verabscheuung über die Verhältnisse, welche nach einem Ausdruck verlangt und sich im Post-Punk entfaltet. In Zeiten großer Umwürfe und Rebellionen konnten Musiker und Genres, gesellschaftlicher Entfremdung, verlässlich Einhalt gebieten und diese Leere füllen. Ob in den hoffnungsvollen 1960er-Jahren, den depressiven 1970ern, den verändernden 80ern oder den eskapistischen 90ern, erkannten die Schaffenden ihrer Zeit hiesige Missstände und ließen die Musik die Sprachen vieler sprechen.
Das Gitarrenmusik als Ausdrucksform ausgerechnet im vereinigten Königreich und Irland wieder an echter Relevanz gewinnt und zur produktiven Wut wird, ist also kein Zufall. Das Bands wie IDLES, SHAME, Fontaines D.C. oder Dream Wife mit ihrer Post-Punk-Dringlichkeit nach allem greifen was der Katharsis dient, machen sie zu den wichtigsten Rockbands Großbritanniens und den aggressiven Post-Punk wieder relevanter denn je.
Progressiver Post-Punk wohnte schon immer die Fähigkeit inne große soziale Probleme zu benennen, welche aus der Musik sprachen. Bands der Beat(en) Generation entnehmen ihrer Heimat den Schmerz und fanden so ihr Medium. Die Idee zur Fortschreibung des Punks ist aber unlängst kein britisches Phänomen. Zuletzt zeigten die schwedischen Viagra Boys oder Amyl And The Sniffers aus Australien, das eine defätistische Haltung in der Musik längst global ist. Laute aufgeladene Riffs und treibende Rhythmen gepaart mit wütenden und politischen Lyrics werden zum Gestus von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Eine übergeordnete Revolte wird zur Chronik einer Band. Denn bei all dem politischen und gesellschaftskritischen Kontext stehen die Protagonisten der Bewegung vor allem für eines: der Widerstand durch musikalische Freude.
Punk ist jedoch wesentlich mehr als nur Musik. Der Begriff bezeichnet nicht nur einen Musik-Stil, sondern geht weit über die Erzählung des Punkrocks hinaus. Trotzdem beschreiben die Rezipienten im musikhistorischen Kontext, Punk als Genre. Folgt man diesem Gedanken und erkennt die Zusammenhänge, ist diese Bewegung innerhalb der Popkultur, einem einzelnen Song oder Band bedeutend übergeordnet, die Historie und das Thema für diese Zeilen zu komplex und in anderen empfehlenswerten Publikationen bereits hervorragend behandelt. Jedoch darf man Recht der Annahme sein, dass diese Metaebene, diese so entscheidende Authentizität, das Genre, Punk, den Punkrock, vielleicht dringlicher macht als viele andere.
Post-Punk-Genrevertreter der neuen Generation sind ungeschminkt und laut. Identitätskrisen in Texte formuliert, mit explodierender Musik eng zusammengerückt, geben eine Richtung vor. Der Spaß wird zur Provokation und durchläuft die Gegenwart vieler. Nahezu unverblümt alles zu thematisieren was abstößt und anwidert, mit exzentrischer Spielfreude auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und dabei simpel Freude zu bereiten, macht diese Bands zu einigen der wichtigsten der modernen Musikwelt.
Keineswegs überschätzt und bei weitem nicht unterschätzt sind IDLES. Wie wohl nur wenige stehen die fünf Briten aus Bristol für musikalische Weiterentwicklung im Post-Punk-Gewand. Mit so viel aufgestauter Wut über die Gesellschaft und Transparenz über die eigenen dunklen Abgründe des Lebens besingen sie so vieles, was die Existenz so vieler ist. Sie brechen bewusst mit den Sitten der Popindustrie und sind oft weit weg davon unfehlbar zu sein. Doch das macht sie nahbar und trifft den Zeitgeist. Unter so viel vorherrschendem seelenlosem Kalkül in der Industrie vergisst und verliert man schnell das Bewusstsein dafür, was (Post) Punk ist. Und IDLES schreit es lautstark zurück ins Gedächtnis.
Aber nicht immer sind es brodelnde Briten die ihre musikalische Stärke aus Frustration und Unzufriedenheit ziehen. Auch in Irland, genauer gesagt in Dublin, werden Songs geschrieben, Hooks und Melodien zum musikalischen Protest. Die irische Gesellschaft ist im Umbruch und der Ton der Straße hart. Post-Punk als Ausdrucksform wie der von Fontaines D.C. ist ein Produkt über die Verhältnisse der letzten Jahre. Frustration welche seines gleichen sucht und ein Ventil braucht. Experimenteller und nachdenklicher Zorn als Hommage an die irische Arbeiterklasse, ein Erfolgsrezept, eine Lebensrealität.
Auch SHAME aus London sind eindringlich und unverfälscht. Bereits während der Blütezeit des Post-Punks, rund um das Jahr 2010, debütierten die fünf Briten um Sänger Charlie Steen 2014 furchtlos poetisch. Mit lebendiger Punk-Attitüde und Indie-Allüren, erzählen SHAME progressiv und provokant über Großbritannien und sich selbst.
Bands aus überwiegend Großbritannien und Irland liefern spannende neue Musik über persönliche Krisen, mit aufgeladener Sozialkritik, als Antrieb zur Lebensfreude und Aufruf zur Rebellion. Eine Energie die einiges ändern kann.
Post-Punk als massive soziale Bewegung wie schon einst alle anderen bedeutenden Genres ihrer Zeit. Ein Umstand, welcher die Bedeutung von Musikern und solche die es noch werden wollen essentiell macht. Punk hat einiges geändert. Post-Punk kann es auch. Ein Album, ein Song, ein Künstler wird zum Kult und Erinnerung an eine Zeit, in der eine Platte bewegen kann. Bands wie IDLES, Shame, Fontaines D.C., Squid, Viagra Boys, Iceage und viele mehr, bringen wärmendes Chaos in kühle Gesellschaftsstrukturen und sorgen damit für positive Impulse für die menschliche Gemeinschaft. Diese Wut ist echt. Sie prägt die Jugend von Millionen Musikfans und schenkt der Revolte eine Melodie.
Ursprünglich veröffentlicht am 19. Mai 2021 aktualisiert am 6. Juni 2023