Kalandra – mystische Klänge aus dem hohen Norden
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2013 wurde Searching for Sugar Man als bester Dokumentarfilm mit dem Oscar ausgezeichnet. Die Dokumentation widmet sich der Suche zweier Fans nach dem angeblich verstorbenen Musiker Sixto Rodriguez, der während der Apartheid-Bewegung in Südafrika einst gefeierter als Bob Dylan und Elvis Presley war. Das Unglaubliche an der Geschichte: Der Sänger wusste von alldem nichts. Er lebte verarmt in seiner Heimatstadt Detroid und erfuhr erst mit 56 Jahren von seinem Ruhm in einem anderen Teil der Welt. Die unfassbare Geschichte ähnelt einem Märchen und verspricht dem Zuseher*in Gänsehaut-Feeling pur!
Sixto Diaz Rodriguez wird am 10. Juli 1942 im US-amerikanischen Bundesstaat Michigan in eine Arbeiterfamilie hineingeboren. Seine Eltern sind mexikanische Einwanderer. Nachdem Rodriguez seinen High School Abschluss in der Tasche hat, geht er seiner großen Leidenschaft, der Musik, nach. Seinen Lebensunterhalt verdient er durch seine Auftritte.
Ende der 1960er-Jahre macht in den kleinen Musikkneipen Detroits der Name Rodriguez die Runde. Über die Person des Sängers war nicht viel bekannt, außer dass er mit seiner unglaublich betörenden Stimme Bluesmelodien singen konnte. Bei seinen Auftritten hatte er die Angewohnheit, dem Publikum den Rücken zuzukehren. Das machte ihn zu einer rätselhaften Persönlichkeit.
Eines Tages wird er in seiner Heimatstadt Detroit von zwei Musikproduzenten entdeckt, die eines seiner Konzerte besuchen. Sie sind auf Anhieb von Rodriguez glasklarer Stimme sowie seinem rätselhaften Auftreten begeistert. Sie glauben, einen neuen Folksänger im besten Sinne entdeckt zu haben. Kurz darauf folgt die Veröffentlichung seiner ersten Single I`ll Slip Away. 1970 erscheint sein erstes Album mit dem Titel Cold Fact bei Sussex Records, dem Label von Clarence Avant. Trotz positiver Kritiken bleibt dieses in seiner Heimatstadt Detroid vollkommen erfolglos. Aus diesem Grund beschließt Rodriguez, eine Musik-Pause einzulegen und hält sich durch Abriss-Jobs finanziell über Wasser. Zu diesem Zeitpunkt weiß er jedoch nicht, dass Schwarzkopien seines Albums Cold Fact durch Zufall nach Südafrika geraten sind. Und dort eine derartige Bekanntheit erreicht haben, dass ihn Leute neben Weltstars wie Bob Dylan und Elvis Presley einreihen.
In den 1970er-Jahren ist Südafrika von der Apartheid geprägt. Rodriguez Songtexte sprechen zu dieser Zeit vielen weißen Südafrikaner*innen aus der Seele. Armut, Drogen, zerplatzte Hoffnungen und Träume sind die Themen, die er in seinen Liedern thematisiert. Sie werden zum Soundtrack der Anti-Apartheid-Bewegung. Der Song Sugar Man wird sogar vom Regime verbannt, indem die Rillen zum Song auf den Schallplatten zerkratzt werden.
Im boykottierten Südafrika sind zu dieser Zeit über den Künstler selbst kaum Informationen bekannt. Es kursieren jedoch Gerüchte, dass er sich auf der Bühne erschossen haben soll, nachdem er vom Publikum ausgepfiffen wurde. Mehr weiß man über die Person hinter Sixto Rodriguez nicht. Auch Rodriguez selbst erahnt zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er auf einem anderen Kontinent als Held gefeiert wird.
In den späten 1990er-Jahren beschließen zwei Rodriguez-Fans, dem angeblichen Tod des Künstlers näher auf den Grund zu gehen. Stephen Segerman und Craig Bartholomew Strydom nehmen es sich zur Aufgabe, weitere Informationen über den Sänger herauszufinden. Anfangs ist die Suche erfolglos. Die wenigen Fotos, die von Sixto existieren, zeigen ihn als unnahbaren Sonnenbrillen-Träger. Die beiden Männer versuchen anhand von Songtext-Analysen und Internet-Recherchen den Spuren des mysteriösen Sängers zu folgen. Zwei Jahre vergehen, bis die beiden endlich erste Erfolg auf ihrer Suche verzeichnen können. Sie schaffen es, Kontakt zum Co-Producer von Rodriguez Alben herzustellen und durchlöchern diesen bei einem Treffen mit Fragen zu Sixto Rodriguez. Die wichtigste Frage stellen sie ihm allerdings erst zum Schluss: Ist es wahr, dass sich Rodriguez auf der Bühne erschossen hat? Die Antwort kommt völlig überraschend: Das sei ein Blödsinn. Rodriguez sei noch am Leben.
Schließlich werden Segerman und Strydom für ihre detektivischen Mühen belohnt. Auf einer Internetseite zur Suche nach Rodriguez meldet sich eine von Rodriguez Töchtern zu Wort. Sie stellt den Kontakt zwischen Segerman und Strydom und Rodriguez her. Es folgt ein Telefonat, indem ihn die beiden über den Erfolg seiner Musik in Südafrika in Kenntnis setzen. Rodriguez selbst erfährt also erst im Jahre 1996 von seiner Popularität.
Doch der Sixto Rodriguez, den die beiden Männer endlich ausfindig machen und kurz darauf persönlich kennenlernen, ist verblüffend anders. Er haust als bescheiden lebender Bauarbeiter nach wie vor in seiner Heimatstadt Detroid. Mit dem Auffinden des Musikers nimmt das Leben von Sixto Rodriguez eine Kehrtwende. Der zum damaligen Zeitpunkt 56-jährige lässt sich dazu überreden, gemeinsam mit seinen Töchtern nach Südafrika zu reisen, um dort eine Reihe an Konzerten zu geben. Seine Fans können ihren Augen nicht trauen, als der „echte“ Rodriguez die Bühne betritt. Minutenlange Standing Ovations und Jubel, ohne einen einzigen Ton gespielt zu haben.
Trotz sechs ausverkaufter Konzerte kehrt Rodriguez kurz darauf wieder nach Detroid zurück und führt dort seinen bescheidenen Lebensstil fort. Die Aufregung scheint ihn nicht zu tangieren. Der Künstler ruht nach wie vor in sich selbst, spricht äußert wenig und erweckt dadurch einen schüchternen Eindruck.
Die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende. Der schwedische Regisseur Malik Bendjelloul beschließt, die unfassbare Geschichte über Sixto Rodriguez in einem Dokumentarfilm festzuhalten. Ursprünglich ist sein Vorhaben, die Erzählung in einem Zehnminüter zu verpacken. Für Zehnminüter ist der Regisseur nämlich bekannt. Schlussendlich wird daraus jedoch nichts. Ganze vier Jahre steckt er in das Projekt. Im ersten Jahr erhielt er einen Zuschuss an Fördermitteln, danach ist er ganz auf sich alleine gestellt. Deshalb steht der Film immer wieder auf wackeligen Beinen. Es ist die Kraft der Geschichte, die Malik Bendjelloul davon abhält, das Handtuch zu werfen. Bendjelloul nimmt den Schnitt der Originalaufnahmen und die musikalische Gestaltung selbst in die Hand und ergänzt fehlende Szenen durch eigene Animationen. Daraus entsteht Searching for Sugar Man - ein Dokumentarfilm, der zu Tränen rührt und dafür 2013 mit dem Oskar belohnt wird.
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Ursprünglich veröffentlicht am 1. November 2022 aktualisiert am 9. März 2023
Fokusthema: Bo Burnham: Inside – Eine dokumentarische Musikkomödie für unsere verwirrte Zeit