Kalandra – mystische Klänge aus dem hohen Norden
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Kaum einer Komödie gelingt das Unterfangen, den Test der Zeit zu bestehen und wirklich zeitlos zu sein. Bühne frei für This Is Spinal Tap von Rob Reiner aus dem Jahr 1984, eine Musikkomödie im Dokumentarfilmstil über eine fiktive britische Heavy Metal Band namens Spinal Tap, die eine Promo -Tour durch die Vereinigten Staaten für ihre neueste Platte namens `Smell The Glove` starten und dabei planlos von einer Katastrophe in die Nächste stolpern.
Im Film selbst wird die Doku als Rockumentary bezeichnet, ein Begriff, welcher mit einigen anderen seinen Platz in der populären Kultur gefunden hat. Technisch gesehen ist der Film eine Mockumentary, da die Ereignisse und Personen rein fiktiv sind, es jedoch so getan wird, als ob alles real sei. Viele Leute wurden hinters Licht geführt von den Hauptdarstellern der Band und glaubten, dass es tatsächlich Briten sind, jedoch stecken US-Amerikanische Comedians dahinter, namentlich Christopher Guest, Michael McKean und Harry Shearer als die titelgebende Tölpeltruppe.
Nicht nur der Film selbst ist unsterblich geworden im kulturellen und musikalischen Gedächtnis, sondern vor allem die Zitate, welche gänzlich darüber hinauswachsen und vollkommen in der populären Kultur angekommen sind.
In Deutschland ist der Film auch bekannt als "Die Jungs von Spinal Tap", was erneut veranschaulicht, wie unpassend allzu häufig deutsche Übersetzungen von Originaltiteln sind.
Was womöglich darauf zurückzuführen ist, dass der Film im deutschsprachigen Raum einen deutlich geringeren Bekanntheitsgrad besitzt. Regisseur Rob Reiner beginnt den Film als sein Alter Ego, Martin „Marty“ Di Bergi und beweist eindrücklich sein komödiantisches Talent.
Der Name wird filmaffinen Menschen garantiert ein Begriff sein, denn Reiner ist unter anderem für unsterbliche Klassiker wie Die Brautprinzessin und die Stephen King Coming – of – Age Verfilmung Stand By Me verantwortlich. Aufgrund der außerordentlichen Vita des Regisseurs wäre es fatal kurzsichtig anzunehmen, es hier lediglich mit juvenilem Klamauk zu tun zu haben.
Es wird ohne Ende innerhalb der 84 Minuten Laufzeit von This Is Spinal Tap ein respektloser Kommentar nach dem anderen entfacht, doch ist all die Albernheit und Absurdität direkt aus dem realen Leben vieler tourenden Musiker und Musikerinnen gegriffen.
Die Figuren von McKeen, Guest und Shearer sind die schillernden Rockstars der Heavy Metal Band Spinal Tap, David St. Hubbins und Nigel Tufnel an den Gitarren und Derek Smalls mit seinem mächtigen Schnauzbart am Bass.
Während David den klischeebehafteten Frontmann und Gitarristen und Nigel den unterbelichteten, aber es gut meinenden Lead Gitarristen mimt, stellt der wild aussehende, aber innerlich ruhende und geerdete Derek Smalls den Ruhepol der Band dar während beide Gitarristen konstant mit ihren pompösen Egos kollidieren.
Die Drummer werden lieber völlig ausgelassen, da die Band in ihrer bewegten Karriere durch Sage und Schreibe 18 verschiedene Schlagzeuger ging, wobei alle ausnahmslos verstorben sind, was eine Andeutung auf den mühsamen Prozess der Anwerbung von Drummern im Hard´n´Heavy Kosmos der Filmemacher ist.
Derartige Geschichten gibt es innerhalb der Welt des Rock´n´Roll und Heavy Metal/Punk bereits zur Genüge, da sie schlicht ein gewisses Wahrheitspotenzial besitzen, daher häufen sich Konstellationen dieser Art in der Musikszene.
Letzten Endes spielen Konflikte dieser Größenordnung immer eine Rolle, wenn Menschen mit extremen Persönlichkeiten gezwungen sind, längere Zeit zusammengepfercht miteinander zu verbringen. Das bekannte Augenzwinkern setzt ab dem Punkt ein, wo dargestellt wird, dass David, Nigel und Derek nicht die leiseste Ahnung von professionellem Touring zu haben scheinen.
Diese Ahnungslosigkeit wird konstant durch den Film hinweg thematisiert und liefert ein Seitenstechen nach dem anderen, welches zum Teil im fertigen Film die Schauspieler und Schauspielerinnen selbst beinahe zum Lachen bringt, da der Großteil der Dialoge frei improvisiert wurde. Dadurch hebt sich This Is Spinal Tap von anderen Mockumentaries ab, da bei Formaten wie "The Office" eine semi-realistische Linse aufgesetzt wird, jedoch die Dialoge meistens vollständig vorgefertigt sind und im Drehbuch stehen, wodurch der Film von Rob Reiner eine klarere Anti-Hollywood Schiene auffährt.
Allein der Fakt, dass die idiotische Musikgruppe aus Großbritannien stammt und verloren durch die USA schreitet, ist eine köstliche Umkehrung des Klischees, dass US-Amerikanische Menschen eher geringfügig gebildet und taktlos seien, während die britischen Menschen die Krönung der Kultiviertheit zu bilden scheinen.
Tatsächlich gab Ricky Gervais, Kopf der britischen Serie The Office, welche unzählige Ableger nach sich zog, unter anderem Stromberg im deutschsprachigen Raum, bekannt, dass This Is Spinal Tap seine primäre Inspiration für die Serie war. Daher sickerte also mehr über den Lauf der Zeit hindurch als nur eine gelungene Musik-Komödie, This Is Spinal Tap transzendiert die bloße Komödie und es gelang dem Film, die populäre Kultur für immer zu beeinflussen.
In einer der witzigsten Szenen des Films (der Film ist ein einziger, 84 Minuten anhaltender Gag, mögen manche meinen) stellt der liebenswert doofe Nigel dem Filmteam seine persönliche Gitarrensammlung vor.
Dabei enthüllt er seine für ihn persönlich angefertigten Verstärker, welche die Besonderheit aufweisen, den Regler eine Einheit höher als 10 einstellen zu können, was in dieser Form nicht in der Realität auffindbar ist und in Wirklichkeit auch keinen Unterschied macht.
Diese eine Redewendung in This Is Spinal Tap, im Original „turning it up to eleven“, hat die Sphäre der reinen Fiktion durchbrochen und seinen Platz in der populären Kultur eingenommen, sogar im üblichen Sprachgebrauch.
Wenn sprichwörtlich also alles auf 11 gedreht wird, dann handelt es sich um eine exzessive, unnötige Limitüberschreitung, beziehungsweise um den Irrglauben, mehr produzieren zu können, nur weil augenscheinlich mehr Inhalt verfügbar sei, ein immerwährendes Problem innerhalb der Welt der Kunst. Der Film dreht die Rockstar-Klischees hoch auf elf, doch nicht ohne von Tatsachenberichten diverser Stars der Rockgeschichte bekräftigt zu werden.
Alles in allem ist This Is Spinal Tap eine mehr als gelungene Pseudo-Dokumentation, die durch ihren anarchischen Sinn für Humor, die durchgängige, Seitenstechen hervorrufende Improvisation der Hauptakteure und insbesondere durch den Gehalt an faktischen Tour -Anekdoten, die natürlicherweise im Film gnadenlos auf die Spitze getrieben werde, doch ursprünglich einen tiefen Kern Wahrheit besitzen.
Zum einen kann der Frage auf den Grund gegangen werden, welche echte Band den Jungs von Spinal Tap Pate stand, und das ist laut Aussagen der Mitwirkenden die britische Heavy Metal Formation "Saxon", wobei Mitglieder der Band sich lauthals über die Konditionen eines Hotels beschwert haben, in welchen zur gleichen Zeit das kreative Trio hinter Spinal Tap eincheckte.
Diese Begegnung in der Lobby und der typische lakonische britische Unterton während der Unterredung mit dem Personal inspirierte McKeen, Guest und Shearer dazu, eine extravagant aufgeblasene britische Band zu kreieren, welche über die Zeit ein fester Stern am Firmament der populären Kultur werden sollte.
Dieses war zum Erscheinen des Films kaum abzusehen, denn wie viele andere Werke auch wurde This Is Spinal Tap erst Jahre später zu dem Kultphänomen, das es heute ist; zur Zeit des Erscheinens waren die Jungs von Spinal Tap alles andere als ein Hit.
Niemand geringeres als die Rock´n´Roll Ikone Lemmy Kilmister schwört in seiner Autobiographie White Line Fever über den gigantischen Respekt, den er gegenüber allen Involvierten von This Is Spinal Tap verspürt, denn laut seiner Aussage kommt kaum ein Spielfilm an den Grad von Authentizität heran, welche hier auf Zelluloid gebannt werden.
Ganz besonders wird die kleine Sequenz hervorgehoben, in der sich Spinal Tap hoffnungslos im Labyrinth des Backstage Bereiches verirren und endlos im Kreis herumzuirren scheinen.
Die Musik im Film wurde in der Tat von den Hauptdarstellern komponiert und performt, heutzutage verkleiden die drei Herren sich noch wie ihre kultigen Figuren und treten auf Benefizveranstaltungen auf.
Wenn das nicht genug Anreiz für die Qualität des Filmes ist, dann sollte sich vor Augen geführt werden, dass eine Fortsetzung mit allen originalen Tap Mitstreitern für 2024 angesetzt ist. Hoch lebe Spinal Tap!
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Ursprünglich veröffentlicht am 26. Juli 2022 aktualisiert am 19. Oktober 2022
Fokusthema: Bo Burnham: Inside – Eine dokumentarische Musikkomödie für unsere verwirrte Zeit