Kalandra – mystische Klänge aus dem hohen Norden
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Wir schreiben das Jahr 2017. Die Serie “Thirteen Reasons Why” geht gerade durch die Decke und löst Kontroversen über die brutale Ehrlichkeit zu Themen wie Mobbing und Suizid aus. Zwischen all diesen Kontroversen und dem Hype um die Serie wird ein Musiker bekannt, dessen Songs den Duktus von Thirteen Reasons Why perfekt widerspiegeln. Auch sie sind ehrlich, ecken an, halten sich nicht zurück oder gar an Normen. Sie verpacken unbequeme Themen in emotionsgeladene Alternative Rock-Songs, die den Sound und die Emotionen einer ganzen Generation treffen. Yungblud verleiht der Serie mit gleich drei Songs Charakter – und kann das als Sprungbrett für eine Karriere nutzen, die sich schon bald vom Serienhit löst und einen außergewöhnlichen Künstler hervorbringt. Einen Künstler, der mutig genug ist, Grenzen zu überschreiten. Der Wahrheiten ausspricht, Kritik in Musik verpackt und sie für das nutzt, was nur sie in dem Maß sein kann: ein Sprachrohr.
Dominic Harrison, von seinem Umfeld oft Dom genannt, wächst in einem beschaulichen Ort in England auf. Obwohl sein Geburtsort so gar nicht zu dem extrovertierten und extravaganten Musiker passen möchte, den wir heute als Yungblud kennen, werden hier seine musikalischen Grundsteine gelegt – und zwar direkt in die Wiege. Während sein Vater Vintage-Gitarren verkauft und Dominic schon sechs Stunden nach seiner Geburt eine Ukulele in der Hand hat, spielt sein Großvater in der britischen Rockband T. Rex.
Dass seine berufliche Laufbahn Kunst in irgendeiner Form beinhalten würde, war früh klar. Mit 16 verlässt er die Schule, zieht nach London und studiert dort an der Arts Educational, einer unabhängigen Schule für darstellende Künste. Das Studium bricht er jedoch nach nur drei Monaten ab, weil er sich in seiner künstlerischen Freiheit eingeengt und limitiert fühlt. Bevor er 2017 den Durchbruch mit seiner Musik hat, widmet sich Dominic zuerst einer anderen Kunst: dem Schauspiel. Nach Auftritten in der britischen Kultserie Emmerdale tritt er als “Oz” in der Disneyserie “The Lodge” auf und spielt die Rolle – wie sollte es anders sein – eines Musikers.
Im Gegensatz zu vielen Kolleg*innen, die ihre Karriere bei Disney starteten, bleibt Dominic jedoch nicht lange in der Disney-Schublade. Er entwickelt schnell seinen eigenen Stil und löst sich von Disney. 2017 ist dann das Jahr für Yungbluds musikalischen Karrierestart. Nicht zuletzt durch die Serie Thirteen Reasons Why wird er immer bekannter, findet seinen eigenen Stil und seinen Weg, seine Wahrheit durch Musik auszusprechen. Nach dem ersten Album 21st Century Liability landet er mit seinem zweiten Album “Weird!” Bestplatzierungen und Auszeichnungen – und das nur drei Jahre nach dem Startschuss seiner Musik-Karriere. Das Album klettert an die Spitze der UK Album Charts, positioniert sich auf Platz 70 der US Billboard 200.
An einem Höhepunkt seiner Karriere wird auch Yungblud, wie viele Künstler*innen, von der Pandemie gestoppt. Keine Konzerte, Kontaktbeschränkungen, Isolation. Doch Yungblud nutzt diese Zeit, schreibt viel, bleibt eng mit seinen Fans verbunden und ruft unter anderem die Yungblud-Show ins Leben:
Yungbluds Musik ist laut und gleichzeitig nachdenklich. Explosiv und zur selben Zeit fesselnd. In seinen Songs spricht er musikalisch aus, was sonst aus falscher Etikette, Angst oder Scheu nicht in gesprochene Worte gefasst wird. Ob Genderidentität, Drogenmissbrauch, sexuelle Gewalt, Homophobie, Rassismus, Gesellschaftskritik, Politik oder Zukunftsängste – Yungblud trifft mit seinen Texten und den Emotionen seiner Songs das, was viele seiner Fans denken und fühlen. Was sie versuchen, in die Welt hinauszurufen, ohne dabei gehört zu werden. Er ist die Stimme einer Generation, die es satt ist, nach dem “das haben wir schon immer so gemacht”-Weltbild zu funktionieren. Die etwas ändern und offen durch unsere Welt gehen möchte.
“Ich denke, gerade im Moment ist die Welt für junge Leute eine sehr verwirrende. Politisch passiert so viel, und es verblüfft mich, dass niemand in der Popmusik direkt darüber redet. Das möchte ich gerne tun", sagt der Musiker gegenüber laut.de. Neben gesellschaftlichen und politischen Themen geht er in seinen Songs zum Beispiel auch offen mit Themen wie psychischer Gesundheit um. Der Song “Die a little”, welcher ebenfalls in “Thirteen Reasons Why” vorkommt, geht mit Zeilen wie “All you gotta do is die a little to survive. All you gotta do is cry a little to be fine” unter die Haut. Das Video zum Song soll das Bewusstsein für psychische Gesundheit stärken und ein Zeichen setzen:
Yungbluds Songs zeugen nicht nur von inhaltlicher Tiefe. Auch seine Stimme gehört zu denen, die live genauso gut – wenn nicht noch besser – klingen als auf Platte. Seine raue und gleichzeitig glasklare Stimme braucht kein Autotune, seine Texte verpackt er Poetry-Slam-gleich in dynamische Geschwindigkeiten. Wie groß seine Range dabei ist, zeigt zum Beispiel seine Interpretation des Bowie-Songs “Life on Mars?”. Im Rahmen des Online-Konzerts “A Bowie Celebration: Just For One Day!”, in dem verschiedene Künstler*innen das Erbe des Musikers David Bowie feierten, schmettert er den Klassiker eines seiner größten Vorbilder mit großer Stimmgewalt und noch mehr Gefühl ins Mikrofon. Von einer perfekten Kopfstimme wechselt er ohne Probleme – und ohne großes Mixregister – ins Belting:
Kurz vorher brachte Yungblud übrigens seinen eigenen Songs “mars” raus, der nicht nur vom Namen her, sondern auch in Sachen Makeup im Video an Bowie erinnert. Mit dem Video macht der Künstler auf Unterdrückung und Gewalt aufmerksam:
Yungbluds Gesang ist wiedererkennbar. Sowohl sein Tone of Voice aber auf gewisse Art auch der englische Akzent und seine Art, Sprache zu betonen, heben ihn von der Masse ab. All das paart der Musiker mit einer explosiven Bühnenperformance, die für schweißgebadete Konzertlocations und emotionale Momente sorgen.
Die meisten packen Yungbluds Musik in die Alternative-Rock-Schublade – wo er ohne Zweifel reinpasst. Doch Yungblud ist so viel mehr. Er ist eine neue Art des Alternative-Rocks. Seine Einflüsse und Vorbilder von The Cure und T. Rex über Green Day und My Chemical Romance bis hin zu Eminem oder Lady Gaga sind zwar deutlich zu erkennen, dennoch schafft er dabei seinen eigenen Sound und lässt Genregrenzen völlig verschwimmen. Mal punkig, mal rockig, mal mit Grunch-Einflüssen und mal mit dynamischen Hip-Hop-Lines zeigt er Talent auf voller Bandbreite. Dabei gibt er all diesen Stilen seine eigene Note, erfindet sie teilweise neu. Dem Musikexpress sagte er einmal, dass er sich “weder für Idioten in Lederjacken, die Instrumente zusammenschlagen”, noch für “Bitch, geh auf die Knie! Nutten, Nutten, Nutten! Autos, Geld, Dope!” interessiere – womit er wohl die gängigsten Klischees seiner Hauptgenres einmal abgefrühstückt und sich gegen diese positioniert hat.
“I am not afraid to be wrong because I am not pretending to be anything”
Yungblud
Sein Kleidungsstil erinnert dabei vor allem an Punk. Mit pinken Socken, Minirock und lackierten Fingernägeln rockt er so authentisch wie derzeit kaum ein Künstler die Bühne. “Ich hatte schon immer eine starke feminine Seite in mir, das lebe ich mit meinem Outfit aus. Je extravaganter, desto besser. Ich will Grenzen sprengen – nicht nur in der Musik, sondern auch in der Mode. Dabei drücke ich mich auf jede nur erdenkliche Weise aus”, sagt er gegenüber der Vogue. Das alles erinnert an Künstler, die auch Yungblud als Vorbilder nennt: Marilyn Manson, Lady Gaga, Sex Pistols – eben die, die sich noch nie an die gesellschaftlichen Normen und Grenzen gehalten und damit viel bewegt haben.
Doch das, was nach wie vor viele mit der Punk-Kultur verbinden, möchte Yungblud nicht sein. In einem Interview sagt er, dass seine Vorstellung von Punk nichts mit der “Fuck-off”-Mentalität der 80er zu tun habe. Seine Version des Punks ist eine andere Art des Protests. Eine Art, den Menschen zu zeigen, dass alle sein dürfen und sollen wie sie sind. Dass es egal ist, welchem Geschlecht, welcher Sexualität, welcher Religion oder welchem Stil man sich angehörig fühlt. Er provoziert bewusst mit seinem Auftreten, tut dies jedoch immer mit Bedacht und einer Message dahinter.
Egal wie groß oder klein das Konzert auch sein mag – Yungblud und seine Fans sind eine Familie. Die Nähe zu seinen Fans ist dem Künstler enorm wichtig. Mit der Zeit ist dabei der “Black Hearts Club” entstanden, wie sich Yungblud und seine Fans nennen. Ganz zu Beginn seiner Karriere ließ sich der Künstler zwei schwarze Herzen auf seine Finger tätowieren, um sich selbst daran zu erinnern wer er mal war. Wie unverstanden und nicht akzeptiert. Und wer er heute ist. Wie er durch die Musik zu sich selbst stehen und sein kann, wie er ist. Über Nacht ließen sich über 80 Fans ebenfalls schwarze Herzen stechen – die Geburtsstunde des Black Hearts Club, welcher immer größer wurde. Eine Familie, in der sich viele der jungen Fans verstanden fühlen, wo es keinen Hass und keine Ausgrenzung gibt.
Dass Yungblud dabei oft anders ist als andere Musiker*innen, zeigt auch die Art, wie er mit dem Gewinn seines ersten Nummer-Eins-Albums “WEIRD!” umgegangen ist. Statt den Preis irgendwo in einer Vitrine oder gut sichtbar in die Wohnung zu stellen, schmilzt er ihn ein – um daraus 150 goldene Sicherheitsnadeln für seine Fans zu machen. “Yungblud is not me, it is us, this is our award. We are weird! Stay weird, be proud to be weird, be proud to be different, I love each and everyone of you!”, sagt er:
Gerade erst hat Yungblud einen weiteren Meilenstein für den Black Hearts Club gelegt: Er veröffentlichte einen eigenen Discord-Channel, in dem auch der Musiker selbst präsent sein wird.
All das zeigt, wie eng die Bindung zwischen Yungblud und seinen Fans ist. “Ich möchte, dass Yungblud mehr ist als nur die Musik. Ich will, dass es eine verdammte Lebensart ist, ich will, dass es eine Art zu fühlen ist”, sagt der Künstler gegenüber Rock Sound. Und dabei sind seine Songs nicht nur ein Zufluchtsort, ein Ort, an dem sich Fans verstanden fühlen, sondern oft auch Protestsongs. Songs, die ungeschönt sagen, was ihn an der Gesellschaft stört. Ein perfektes Beispiel dafür ist der Song Parents, in dem Yungblud sich eine ältere Generation vornimmt, die eben nicht immer recht hat, weil man das “halt schon immer so gemacht hat”.
“Cause my high hopes are getting low because these people are so old. The way they think about it all, if I tried I would never know. My high hopes are getting low, but I know I'll never be alone. It's alright, we'll survive, ‘cause parents ain't always right”
Yungblud im Song Parents
Wie wichtig ihm seine musikalischen Messages sind, sagt Yungblud auch immer wieder bei Live-Auftritten. Die Emotionen sind dann meist im ganzen Raum zu spüren, wie etwa bei dieser Live-Version des Songs Polygraph Eyes, in dem es um sexuelle Gewalt geht:
“Während der Shows bin ich wie im Rausch. Musik ist meine Art, meine Aggressionen, meine Energie und meine Verwirrung rauszulassen, um nicht völlig verrückt zu werden. Die Bühne ist der ideale Platz für mich. Niemand sagt mir da oben, was ich zu tun, zu lassen, zu denken oder zu fühlen habe. Der einzige Ort auf der Welt, an dem ich sein darf, wie ich bin”, sagt er 2018 in einem Interview mit der Vogue.
Während Yungblud mittlerweile Features mit großen Künstler*innen wie Marshmello, Halsey, KSI, Travis Barker oder Machine Gun Kelly veröffentlicht hat, mit einem seiner größten Vorbilder Avril Lavigne auf einer Bühne performte und mit Bowie einem noch größeren Vorbild Tribut gezollt hat, ruht er sich nicht auf dem Erfolg aus. Er versucht immer wieder etwas Neues, überrascht seine Fans und die Musikwelt. Zuletzt mit der Veröffentlichung seiner neuen EP “The Funeral”. Der Sound ist wieder ein wenig anders als alle vorherigen Yungblud-Songs. Er erinnert mit seinen Synths und dem Beat schon fast an die 80er, bedient sich einem fast vergessenen Pop-Sound und bleibt dabei trotzdem modern und rockig. In den dreieinhalb Minuten passiert musikalisch so viel, dass es fast zu viel ist und doch schafft Yungblud es, ein großes Ganzes daraus zu machen. Das Thema ist wie immer offen und ehrlich, die Ankündigung des Songs makaber real. Yungblud verschickt Einladungen zu seiner Beerdigung, postet die Zeile “Nobody came, what a shame!” Kurz darauf wird die EP veröffentlicht – und die hat es in Sachen Star-Aufkommen im Video in sich: Yungblud wird von niemand geringeren als Ozzy und Sharon Osbourne unterstützt:
“In diesem Song geht es darum, sich Unsicherheiten einzugestehen und einfach furchtlos zu sein. Es geht um Ego, Tod, Wiedergeburt und darum, auf dem eigenen Grab zu tanzen. Du lädst jeden ein, mitzumachen, aber wenn du alleine bist und der Einzige, der tanzt, dann ist das auch okay”, sagt der Musiker über seinen neuen Song.
Bei dem einen Song wird es voraussichtlich nicht bleiben. In einem Interview spricht Yungblud über ein ganzes Album. Außerdem zeigen seine Worte, wieviel von sich selbst er wieder einmal in seine Musik gesteckt hat: “Ich habe mich im Spiegel angeschaut und mich gefragt: […] ‘Wie willst du in Erinnerung bleiben, wenn du morgen von einem Lastwagen überfahren werden würdest, […] wäre dieser Song der Song, den du singen willst und würde dieses Album das ausstrahlen?’ – und ich glaube wirklich, dass es das tun würde. Wenn du jemals das Gefühl hattest, mich zu kennen, wirst du dieses Album verstehen, wenn du das Gefühl hast, mich überhaupt nicht zu kennen, wirst du dieses Album verstehen. Ich möchte mich mit jemandem hinsetzen, der mich absolut hasst und ihm dieses Album vorspielen – demjenigen ins Gesicht schauen und ein Gespräch führen – was ich nicht kann, aber ich würde es tun – weil ich an einen Punkt angekommen bin, an dem ich es nicht mehr kann – es ist nicht so, dass ich nicht darüber nachdenke, mich nicht darum kümmere, was die Leute über diese Platte denken – aber ich kann es nicht, weil ich zu viel von meiner Seele hineingesteckt habe!”
Noch in diesem Jahr soll außerdem passend zum Song “mars” Yungbluds erster Kurzfilm rauskommen. Dieser soll die Geschichte eines Fans zeigen, die die Inspiration zum Song war. “Die Reise begann mit einer Begegnung, dann wurde es ein Song und jetzt wird es ein Film”, heißt es. Yungbluds Drehbuch wird übrigens von Interscope Films produziert, die unter anderem auch Billie Eilishs “The World’s A Little Blurry” realisiert haben.
Wir sind gespannt, was wir als Nächstes von Yungblud hören oder sehen werden. Eins ist sicher: nicht das, was man vermutet, was logisch wäre oder was erwartet wird. Denn Yungblud ist immer für eine Überraschung gut – und genau das macht ihn aus.
So wie Yungbluds Black Heart Club sind auch wir auf mukken eine große Musik-Familie. Hier könnt ihr euch mit anderen Musiker*innen austauschen, neue Projekte starten und Mitmusiker*innen finden. Wenn ihr noch mehr Features wie dieses, zum Beispiel über die deutsche Künstlerin LEA, die Death Metal Band Immolation oder Weltstar Billie Eilish lesen wollt, dann schaut auf unserem Blog vorbei.
Ursprünglich veröffentlicht am 5. April 2022 aktualisiert am 7. März 2023
Fokusthema: Der Schmyt - Underdog, Newcomer und Ausnahmetalent